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Kapitel 10

Der Fund im ‚Tiefersee’


Am nächsten Morgen sitzt Léon in der Teeküche seines Wohnbüros und blickt auf das neue silberne Gebäude des Hightech Centers Babelsberg.
Ursprünglich wurde das Gebäude samt Einrichtung, wie Super- und Effektcomputer, gebaut, um kleine Unternehmen bei der Produktion von Computer Animationen zu unterstützen. Jetzt bewirbt sich der Betreiber um die gleichen Aufträge wie Léon und macht ihm das Unternehmerleben schwer.
Es klingelt, mit einer Taste am Telefon öffnet Léon die Tür. Durch die Glastür kann Léon Flosse und Stinger sehen, wie sie miteinander redend die grünen Marmorstufen des Treppenhauses hinauf kommen. Léon kommt ihnen entgegen und lässt die beiden rein.
„Morgen, Männer. Kommt rein, der Kaffe ist noch heiß!“, sagt Léon gutgelaunt.
„Prima, den kann ich gebrauchen. Auf meiner Dienststelle ist der Automat kaputt. Jetzt bin ich seit Tagen auf Entzug“, freut Flosse sich auf das Koffein.
„Typisch Beamter, zu faul um sich zu Hause eine Kanne Kaffee zu kochen“, stichelt Stinger.
Flosse nimmt die Bemerkung hin. Während er sich ein wenig gelangweilt die Kaffeemaschine im Porschedesign ansieht, gießt Léon ihnen den duftenden Kaffee in die Tassen ein.
„Setzt euch! Ich will euch nicht lange auf die Folter spannen. Ich bin gleich wieder da.“
Daraufhin verschwindet Léon in ein anderes Zimmer, um das Stück Leinenpapier mit den Kursangaben zu holen.
Als Léon mit dem Anhänger wieder kommt und ihnen das Öffnen vorführt, findet selbst Flosse keine Worte für diesen ausgeklügelten Mechanismus. Wieder muss Léon die Geschichte erzählen... Am Ende ist er froh sie dabei zu haben und fragt, ob sie nun wie geplant beginnen wollen.
„Klar, alles ist vorbereitet, wir schnappen uns die Bergeplattform und verholen diese in den ‚Tiefersee’“, klatscht Stinger tatkräftig in seine Hände.
„Zuerst werden wir mit Schnorcheleinsätzen beginnen und falls nötig machen wir mit unserem Tauchflaschen weiter“, unterstützt Flosse beim Aufstehen den Arbeitsdrang von Stinger.
Wieder verschwindet Léon und kommt mit einer Wasserwanderkarte wieder. Während Léon und Flosse noch die Route planen, macht Stinger sich auf den Weg zum Vereinshaus, um die Ausrüstung für den Taucheinsatz zusammen zu stellen.
Kurz darauf treffen Flosse und Léon auf dem Gelände am Wannsee ein. Sie öffnen das geschmiedete Tor und gehen über die Wiese zum Ufer.
„Wie sieht es aus? Können wir noch etwas helfen?“, ruft ihm Flosse beim Näherkommen zu.
„Nein! Schon alles erledigt. Die Tauchklamotten liegen auf der Plattform“, sagt Stinger, der gerade aus der Bootshalle kommt.
„Hast du den Grill und eine Angel eingepackt?“, fragt Flosse nach, aus Angst, dass das Vergnügen zu kurz kommen mag.
„Was glaubst du, mit wem du es zu tun hast!“, lächelt Stinger. „Bin ich ein Anfänger? Oder jemand, der auf dem Wasser zu Hause ist?“
Er bekommt keine Antwort, aber Léon fragt neugierig: „Wie lange werden wir mit diesem Ding bis zum Griebnitzsee brauchen?“
„Dieses Ding ist eine professionelle Hebeplattform und kein Rennboot und macht mit dem Flautenschieben angenehme drei Knoten. Laut Karte ist der Griebnitzsee sechs Seemeilen von hier entfernt. Also werden wir gut zwei Stunden brauchen“, rechnet Stinger den beiden mit rollenden Augen vor.
Léon und Flosse bringen ihre Ausrüstung auf die Plattform. Dann geht es los und Stinger reißt mehrmals im Sitzen an der Starterleine.
„Alt, aber läuft“, murmelt Stinger zufrieden vor sich hin. Dann richtet er sich auf und befiehlt Léon die Leine zu lösen.“
Die Plattform sieht wie ein Floß aus, ist aber auf zwei geschlossenen Rümpfen gebaut. Modriger Geruch steigt ihnen in die Nase und macht deutlich, dass sie schon lange im abgestandenen Wasser liegt.
„Die aufgelegten Bodenbretter sind morsch, aber diese Fahrt werden sie noch halten“, versichert Stinger Léon, der mit skeptischem Blick nach einer rostfreien Sitzgelegenheit sucht.
Der Zweitaktmotor heult auf und die Hebevorrichtung beginnt sich schwerfällig zu bewegen. Es dauert eine Weile, bis die Höchstgeschwindigkeit erreicht wird. Der Außenborder dröhnt laut in ihren Ohren, so laut, dass ein Gespräch unmöglich ist. Ohne Worte fahren die drei in ihren Gedanken versunken dahin. Nach einer Stunde passieren sie die Pfaueninsel und außer einem grimmigen Angler, der sich vom Lärm gestört fühlt, sehen sie niemanden. Nach dem Jungfernsee können sie schließlich die Glienicker Brücke, die ehemalige Grenze zur DDR, sehen. Während der Durchfahrt werden bei Léon Erinnerungen aus einem Dokumentarfilm über den Austausch von Agenten wach. Sie fahren unter der Brücke durch. Schlagartig ändert sich die landschaftliche Atmosphäre. Alles ist so anders, dass Stinger das Gas zurücknimmt. Vorsichtig manövriert er die Plattform in das für ihn unbekannte Gewässer. Die Ufer wirken natürlich, unbelassen und sind dicht mit Schilf und Sträuchern bewachsen. Weiter hinten ist ein Park am Hügel angelegt. Laut Karte müssen sie abbiegen, deshalb legt Stinger das Ruder vorausschauend an den Anschlag. Alte Brückenreste tauchen vor ihnen auf, und hier und da stecken Eisenstümpfe im Wasser. Bei der Durchfahrt hat Stinger kein gutes Gefühl. Er fürchtet, dass Reste der Eisenpfeiler die Rümpfe der Plattform aufreißen könnten. Als sie die Durchfahrt passieren, taucht eine weitere Brückendurchfahrt auf. Diese ist intakt und ohne Schwierigkeiten fahren sie hindurch.
„Das ist der Griebnitzsee!“, ruft Léon aufgeregt.
Dann verstummt er wieder, und alle sind gespannt, was als nächstes passiert.
“Die leben hier nicht schlecht!“, glaubt Flosse und stellt sich dabei vor, wie es wäre in einer Villa am Wasser zu wohnen.
Léon erklärt ihnen, dass in den Häusern die Teilnehmer der Wannsee Konferenz gewohnt haben.
„Einige Villen wurden renoviert und da hinten in dem Haus hat sich ein Oskarpreisträger, von dem ich den Namen vergessen habe, niedergelassen“, erklärt Léon bewundernd und zeigt mit der ausgestreckten Hand auf eine Villa am Hang.
„Schick“, meint Stinger, und welche ist jetzt unsere Villa?“
„Da vorne, der rosafarbene Bau“, antwortet Léon und zeigt auf die rechte Uferseite.
„Rosa, ist nicht gerade meine Lieblingsfarbe, aber es passt zur Jungendstil Architektur“, bemerkt Flosse und tut so, als ob er davon Ahnung hätte.
Direkt vor dem Grundstück dreht Stinger die Plattform und Léon stellt die Schlepplogge auf Null zurück. Auch einen Spickzettel und einen Handkompass hat Léon von der Bird of Prey mitgebracht und beides wird nun an der eisernen Reling angebracht.
„Los geht’s!“, sagt Léon vergnügt, so als wenn der Erfolg schon in der Tasche sei.
Flosse und Stinger sind beeindruckt, da sie den angegeben Kurs von 290° auf dem schmalen See fahren können.
Jede andere Fahrrichtung würde zum Land führen. Der Kurs führt sie wieder zurück durch die schmalen Brückenpfeiler in die Glienicker Lake, und Stinger bekommt eine Gänsehaut. Bei der roten Fahrwassertonne kann Léon exakt 0,8 sm ablesen und Flosse ändert den Kurs auf 235°. Nach 0,5 sm landen sie mit dem Kurs von 270° West, wie damals mit der Bird of Prey im ‚Tiefersee’. Er nimmt das Gas zurück und will die letzten Meter langsam fahren, um sich an den Standpunkt zu tasten. Punktgenau stoppt Stinger die Plattform. Léon und Flosse peilen mit dem Kompass drei Punkte an Land, um die Position mit der Kreuzpeilung festzuhalten. Mit einem kräftigen Hammerschlag öffnet Stinger die Sperre an den Teleskopbeinen und lässt sie in die Tiefe rauschen. Er holt eine Kurbel aus einer Kiste und schraubt die Beine mit einem quietschenden Geräusch tief in den Grund. Während Stinger noch kurbelt, hebt sich die Plattform sanft an. Léon ist erleichtert, beobachtet den Wind und ist sich sicher, dass er mit der Bird of Prey ein Stück weiter vorne gestanden hat. Es dauert nicht lange, da haben Flosse und Léon ihre Tauchermasken im Gesicht und Flossen an den Füssen. Durch die Teleskopbeine, die fest auf dem Grund stehen, wird die Plattform selbst bei starkem Wind auf Position gehalten. Flosse hält die Hand in das kühle Wasser und stellt eine leichte Strömung fest.
„Hier fließt die Havel entlang! Ich glaube nicht, dass der Professor das berücksichtigt hat.
Das werden wir gleich besser wissen. Außerdem lässt sich der Unterschied auf der Karte ermitteln“, sagt Léon wissend.
„Wie denn?“, fragt Stinger.
„Indem ich die Kurse ohne Strom auf der Karte eintrage und den GPS Standpunkt mit den Koordinaten aus der Karte vergleiche“, antwortet Léon.
„Nicht dumm, da wäre ich aber auch drauf gekommen“, murmelt Stinger.
Während die beiden noch reden, will Flosse den ersten Tauchversuch wagen. Er springt in das Wasser, kommt nach ca. 20 Sekunden wieder mit Sand in seiner Hand hoch.
„Letztesmal hatte ich Schlamm in der Hand“, erinnert sich Léon und glaubt bei der Streckenangabe damals einen Fehler gemacht zu haben.
Auch Stinger ist fertig. Nach Tauchballart tauchen sie zum Grund. Einmal Luftholen und runter, und das immer wieder, wie in einem Spiel. Über eine Stunde suchen sie im trüben Wasser den Grund nach etwas Auffälligem ab. Leider kann keiner von ihnen auch nur das Geringste entdecken.
„Ich denke, das können wir vergessen!“, nuschelt Léon enttäuscht am Mundstück vorbei.
„Nicht ganz. Einen Zander habe ich gesehen, den werden wir uns noch holen!“, meint Stinger, um sich den Frust nicht anmerken zu lassen.
„Dann lass uns Schluss machen, mir ist schweinekalt“, friert Flosse und reißt sich die Maske vom Gesicht.
Am Nachmittag sind ihre Erwartungen nicht mehr groß und sie überlegen, warum sie nichts gefunden haben.
„Wahrscheinlich hat der Eigner den Kram schon längst abgeholt, oder die Dinge sind mit den Jahren so tief im Sand eingesackt, dass man es rausbaggern müsste“, nörgelt Flosse.
„Für diesen Fall habe ich einen Unterwasser - Metalldetektor mitgebracht. Es ist mühsam damit unter Wasser auf die Suche zu gehen, aber auch spaßig, da man die unglaublichsten Dinge finden kann“, versucht Stinger Mut zu machen.
In diesem Moment ist Léon froh, dass die Jungs mitmachen. Alleine hätte er abermals die Suche aufgegeben. Routiniert machen Stinger und Flosse die Tauchausrüstung fertig, und die Schatzsuche ist damit eine Kategorie professioneller geworden.
„Die Tauchflaschen sind voll. Mit eurer Kondition und bei der geringen Tiefe könnt ihr locker zweieinhalb Stunden unten bleiben“, erklärt Stinger Léon.
Um den vorbeifahrenden Booten zu signalisieren, dass hier getaucht wird, setzt er eine rot weiße Taucherflagge.
„Viel Glück“, wünscht Stinger den beiden und beobachtet wie sie im Wasser verschwinden.
Anhand der Luftblasen kann er deutlich sehen, wo sie gerade suchen. Mit einer Engelsgeduld sieht er den aufsteigenden Luftblasen zu. Am Ende findet Flosse ein altes Ruderboot, welches halbversunken im Algenmorast vor sich hinmodert. Léon gibt auf und Stinger kann an dem Handzeichen von Léon sehen, dass die Suche erfolglos war. Auch Flosse trennt sich von dem Ruderboot und kommt frustriert nach oben.
„Nichts, aber auch gar nichts, was sich zu finden lohnt“, flucht Flosse.
„Es soll eben nicht sein“, meint Léon, der sich so oft schon am Ziel geglaubt hat und sich nur schwer an die Misserfolge gewöhnen kann.
Da Flosse merkt, wie enttäuscht er ist, versucht er ihn aufzumuntern.
„Na ja, auch wir brauchen lange, um einen Fall zu lösen. Am Anfang tappt man immer im Dunkeln. Oft kommt das Ganze nur durch mehrere Zufälle ins Rollen“, erklärt der Polizist und Léon ist sich sicher, dass Flosse sich selbst über den Frust hinweghelfen will. Das Gerede nützt ihnen wenig, aber während Flosse und Léon tauchten, hat Stinger drei Zander gefangen, und das ist für alle ein Trost, da die Fische frisch gegrillt köstlich schmecken werden. Sofort schürt Stinger den Holzkohlengrill, während Léon und Flosse ihre Taucherausrüstung versorgen. Innerhalb kurzer Zeit riecht die Luft nach gebratenem Fisch und echte Freude kommt auf, als Stinger zum Fisch Zitrone serviert und Flosse Weißwein in die Becher füllt.
„Irgendetwas stimmt da nicht“, regt Léon das Gespräch wieder an.
„Der Meinung bin ich auch. Wenn ich etwas versenken möchte, dann würde ich das nicht unbedingt hier machen. Wir haben gesehen, wie schwierig es ist, die Position zu bestimmen. Auch ist das Wasser zu trübe, um etwas leicht wiederzufinden. Wenn ich etwas versenken würde, dann würde ich mir sichere Peilobjekte suchen“, gibt Stinger zum besten.
„Hier ist nichts und man sieht unter Wasser kaum seine eigenen Hände“, stimmt ihnen Flosse zu.
„Vielleicht stand früher etwas Markantes zum Peilen hier und der Skipper glaubte, dass das immer so bleiben würde“, überlegt Stinger, um dem Problem näher zu kommen.
„Mag schon sein, dann hat es aber den Krieg, die Zeit der DDR und den Mauerfall gegeben. Es gab zu viele Veränderungen. Wir sind davon ausgegangen, dass das Boot direkt vor dem Grundstück der Villa gelegen hat. Sicher wissen wir das nicht. Außerdem gehen wir davon aus, dass die Godewind ein Segelschiff ist. Am Griebnitzsee gibt es kaum Segelschiffe und das hat seinen Grund“, vermutet Léon.
„Was für einen?“, fragt Flosse nach.
„Der See ist viel zu schmal. Man kann doch nur in zwei Richtungen fahren und durch die vielen Bäume am Ufer gibt es kaum Wind zum Segeln“, erklärt Léon, während er sich gähnend die Hand vor den Mund hält.
„Vielleicht gibt es zwei Boote. Für jeden Standort eins“, spekuliert Stinger und gibt den anderen neuen Stoff, als Einschlafhilfe.
Darüber nachdenken werden im Dunkeln die Isomatten ausgerollt, und die Plattform verwandelt sich in ein Schlaflager.

Früh am Morgen, wacht Flosse als erster auf. Er hat einen Brummschädel, pellt sich aus dem Schlafsack und glaubt, dass ein kühles Bad im See jetzt helfen könnte.
„Prima, dass du was zum Frühstück holst“, spricht Léon ihn im Halbschlaf an.
Flosse dreht sich um und sucht nach einer Antwort. Da es ihm in seinem Zustand schwer fällt, sich eine Ausrede auszudenken und er selbst Hunger hat, nickt er willig. Léon und Stinger bleiben liegen. Erst nach einer Stunde kommt Flosse wieder. Planschend schubst er eine graue Plastikbox vor sich her.
„Das sollte für ein gutes Frühstück reichen“, ruft er ihnen zur Plattform rüber.
Stinger und Léon heben im Halbschlaf zerknirscht die Köpfe. Als sie Croissants, Butter, Milch, Salami und ein paar Eier in der Box erkennen sind sie von Flosse begeistert. Kaffeewasser wird auf einem Campingkocher aufgesetzt, und sie lassen sich das Frühstück im Freien schmecken. Dann steht Stinger auf, legt sich seine Schnorchelausrüstung an und taucht ohne Atemgerät zum Grund, als wenn es die gestrige Diskussion über die schlechte Wahl eines Versteckes nicht gegeben hätte. Auch Léon ist bereit. Er hat seine Tauchflasche angelegt und springt mit einem halben Salto vorwärts ins Wasser. Er lässt sich sofort auf den Grund sinken. Am Boden trifft er Stinger. Wegen der geringen Tiefe darf er ausnahmsweise an seinem Lungenautomaten atmen. Dabei werden sie durch die Strömung davon getragen und stoßen am Grund mit den Flossen gegen einen fußballgroßen Stein. Es ist der Einzige weit und breit. Sofort zieht er die Aufmerksamkeit der beiden auf sich. Léon und Stinger tauchen intuitiv auf den Brocken zu und beginnen im Sand zu wühlen. Während Stinger nach einer Weile auftaucht, um wieder Luft zu holen, versucht Léon den schweren Stein wegzuräumen. Da kommt ihm Stinger wieder zur Hilfe und zu zweit rollen sie den Stein zur Seite. Durch die Strömung wird der aufgewühlte Boden davon getragen, da ertastet Stinger einen dicken Metallring im Sand. Er zieht daran, aber er bewegt sich nicht. Dann versucht Léon ihn frei zu graben und stellt fest, dass der Ring an einer Stange oder einem Rohr fest geschweißt ist. Selbst nachdem Léon das Ganze ein Stück ausgegraben hat, bewegt es sich immer noch nicht. Léon signalisiert Stinger, dass er mit ihm auftauchen möchte. Interessiert sieht Flosse zu, wie sich beide der Oberfläche nähern.
„Habt ihr was gefunden?“ fragt Flosse aufgeregt, der sich weit über die Reling der Plattform hinausbeugt.
„Ein Stange mit einer Öse. Das könnte von einer Mooring sein?“
„Bring die Leine an! Dann ziehe ich sie mit dem Galgen hoch“, schlägt Flosse aufgeregt vor, obwohl auch er den Sinn, eine Mooring zu bergen, nicht wirklich erkennen kann.

Zur gleichen Zeit ankert Flussabwärts unbemerkt ein Fischerboot am anderen Ufer. Zwei Froschmänner steigen, bewaffnet mit Harpunen, in das Wasser.

„Ich gehe runter. Stinger, bleib du hier oben und vermittle per Zeichen zwischen mir und Flosse“, bestimmt Léon.
Er taucht ab, macht einen Palstek an der Öse und gibt Stinger das Zeichen die Plattform zu verlegen. Flosse öffnet die Sperre, lässt sich ein Stück treiben, dann setzt er die Kurbel an und gibt Zug auf die Leine. Die Plattform neigt sich zur Seite, und die Stützen graben sich wieder in den Grund. Unter Wasser versucht Léon das Rohr loszurütteln. Es scheint nachzugehen und bewegt sich ein Stück nach oben. Plötzlich ahnt Léon wie beim Tauchball, dass sich jemand mit Tempo von schräg oben nähert. Er empfindet keine Angst, sondern spürt nur seine Reflexe. Im Training sind es oft die Mitspieler, die mit ihrem Blick den Ball verfolgen und ihn vor der Anwesenheit eines Angreifers warnen. Aber nicht nur das! Er selbst kann nicht sagen, ob es das Geräusch, die Druckwelle des Tauchers, die Änderung von Licht und Schatten oder alles zusammen ist, die ihn in diesem Moment warnen. Er dreht sich mit Wucht um, sieht einen Kampftaucher mit einem Messer in der Hand auf sich zukommen. Tatsächlich ist der Angreifer von dieser schnellen Reaktion irritiert, stoppt und ahnt, was gleich passiert. Mit der linken Hand greift Léon nach dem zustechendem Handgelenk und führt die Bewegung an seinem Körper vorbei. Mit der eigenen Körperdrehung knallt er seinen rechten Ellbogen dem Angreifer ins Gesicht. Der Kopf des Gegners fliegt herum. Ein zweiter Taucher zielt mit einer Harpune auf Léon. Zum Glück nähert sich Stinger von oben und wirbelt den Taucher herum. Wie Mira als Torfrau, schmeißt sich Léon mit dem Rücken nach hinten, die Harpune geht dicht über seinem Gesicht vorbei. Unter Luftnot taucht Stinger zum Atmen auf. Panisch sucht der Schütze das Weite. Léon schaut nach dem ersten Angreifer. Er sieht wie auch dieser im trüben Wasser verschwindet. Schwer atmend taucht Léon zum Rohr, wackelt daran, bis es sich zu lösen beginnt. Endlich hängt das Teil an der Leine und Flosse kurbelt es mit dem Galgen hoch. Kurz darauf wuchtet sich Léon auf die Plattform, wo auch schon Stinger auf ihn wartet.
„Hast du die Typen gesehen?“, will Stinger von Flosse wissen.
„Wen?“, fragt Flosse überrascht.
„Zwei Taucher, die Léon angegriffen haben“, entgegnet Stinger verwirrt.
„Wo sind die hergekommen?“, fragt Léon entsetzt.
„Dich haben Taucher angegriffen?“, fragt Flosse noch immer ungläubig.
„Davon reden wir doch die ganze Zeit“, klagt Léon genervt.
Endlich begreift Flosse die Situation.
„Die wussten scheinbar nicht, dass sie es mit den größten Raufbolden unseres Teams zu tun hatten. Euch unter Wasser anzugreifen, ist wohl die dümmste Idee, die man nur haben kann!“, lacht Flosse, als er merkt, dass Léon und Stinger die Sache gut überstanden haben.
„Wo sind die Typen hin?“, fragt Stinger.
„Das Fischerboot! Vorhin habe ich ein kleines Boot in diese Richtung fahren sehen“, erinnert sich Flosse.
Sofort nimmt der Polizist sein Handy und schildert den Fall bei seinen Kollegen.
„Das bringt doch nichts“, die sind schon über alle Berge“, sagt Stinger, als Flosse mit Telefonieren fertig ist.
„Abwarten, zwei Streifenwagen versuchen die Kerle abzufangen“, sagt Flosse, er ist sich aber auch nicht mit dem Erfolg seiner Kollegen sicher.
„Sie haben ihren Abgang vorbereitet. Überall können die hier ans Ufer gehen“, folgert Stinger und macht klar, wie hoffnungslos die Polizeiaktion ist.
„Aber ohne Beute, die haben wir“, triumphiert Léon.
„Man sieht dem Rohr an, dass es schon einige Jahre im Grund steckte“, bemerkt Flosse und schaut dabei auf den ungewöhnlichen Fund.
„Ganz schöner Aufwand für ein Stück Messing“, findet Léon und fühlt sich an der Nase herumgeführt. Stinger und Flosse beginnen zu lachen, weil sie in Léons Gesicht lesen können, was er gerade denkt.
„Nur eins passt da nicht ganz ins Bild. Warum werden wir angegriffen? Wegen einer Mooring sind die nicht hier“, überlegt Léon trocken. Schlagartig sind alle wieder still, was Léon zu diesem Zeitpunkt auch lieber ist. Léon nimmt das Rohr in die Hand, das eine Länge von circa einem Meter hat.
Anschließend nimmt Flosse das Rohr in die Hand.
„Du hast recht, zu leicht und zu dünn für eine Mooring. Es könnte ein Köcher sein“, überlegt Flosse aufgeregt.
„Lass uns sehen, was drin ist!“, drängt Léon.
„Ich habe nichts an Bord, was uns helfen könnte es aufzumachen“, stöhnt Stinger.
„Das können wir auch später erledigen. Jetzt fahren wir zurück und dann sehen wir weiter!“, bestimmt Léon.

Als sie am Vereinshaus ankommen und die Leine an Land festzurren fragt Stinger.
„Was wird da drin sein?“
„Keine Ahnung, aber wir werden es bald wissen“, antworte Leon.
„Wir sollten es hier öffnen“, meint Stinger zu Léon und schaut dann Flosse an.
Nickend ist Flosse einverstanden und macht sich auf, eine Eisensäge von der Werkbank zu holen.
Léon nutzt die Zeit, um sich eine andere Hose anzuziehen. Währenddessen führt sich Stinger genüsslich ein Bier an die Lippen. Er setzt die Flasche wieder ab.
„Es schmeckt wie nach einem Turniersieg“, murmelt er und schaut sich aus Gewohnheit das Label der grünen Flasche noch mal genau an.
Kurz darauf kommt Flosse mit einer Eisensäge in der Hand zurück. Er klemmt das Rohr auf einen Schraubstock fest und setzt die Säge am Ende des Köchers an. Das noch neue Blatt der Säge schneidet sich schnell durch das dünne Metall. Innen ist der Köcher unversehrt und trocken. Da nichts auf Anhieb heraus fällt, leuchtet Stinger mit der Taschenlampe hinein. Durch Schütteln und Klopfen kann er schließlich ein großes aufgerolltes Leinentuch herausziehen. Er rollt es aus und eine alte Karte mit zahlreichen Bildern und Verzierungen kommt zum Vorschein. Oben links befindet sich ein gerahmtes Porträt von einem geistlichen Oberhaupt, und unten rechts ist ein rundes Ritterschild aufgemalt.
„Wie kommt das Wappen der Familie von Bremen auf diese Karte?“, stutzt Léon, aber Stinger und Flosse wissen nicht, wovon er redet. Léon greift in seine Hosentasche, holt seine Hand wieder heraus und zeigt den anderen das Kopfende des Schlüsselanhängers.
„Der Zeichner muss ein Vorfahre von Johan von Bremen sein“, glaubt Flosse.
Das ist ein Ding. Aber von welchem Gebiet ist diese Karte?“, fragt Stinger grübelnd.
„Es könnte die Ostseeküste sein“, folgert Flosse, als er den Verlauf der Küstenlinie mit seinen Erinnerungen vergleicht.
„Behalten ist zu gefährlich, aber wohin damit?“, will Stinger wissen.
„Ich habe ein sicheres Versteck, wo niemand sie finden kann“, sagt Léon.
Instinktiv holt Stinger seine Handykamera aus dem Vereinsgebäude, fotografiert die Karte zweimal aus unterschiedlicher Distanz. Dann steckt Flosse die Karte wieder in den Köcher, umwickelt das aufgesägte Ende mit Tapeband. Als er den Köcher in Léons Hand legt, summt das Handy in Flosses Hand.
„Finette“, sagt Flosse.
„Hier Polizeiobermeister Struck. Froschmänner sind entwischt. Ohne Beschreibung der Angreifer haben wir keine Chance.“
„Aktion abbrechen!“, befiehlt Flosse und steckt das Handy in seine Hose.
„Lasst uns nach Hause fahren!“, schlägt Léon den anderen vor.
Daraufhin bringen sie die Tauchausrüstung in den Trockenraum und machen sich auf den Heimweg.

Kapitel 11: Die Ankunft