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Kapitel 9

Léons Freunde


Wieder vergehen Monate und beim Mittwochstraining sieht Léon zwei unbekannte Gesichter am Beckenrand stehen. Léon mustert sie und möchte von Stinger erfahren, wer die beiden sind. Er kennt ihre Namen und weiß auch, dass sie in der 1. Bundesliga Nord spielen und erzählt Léon woher sie kommen:
„Der eine ist Thomas aus Göttingen, den sie Knorki nennen, und der andere heißt Manfred oder Mani und kommt aus Bremen.“
Léon möchte mehr von ihnen erfahren, aber dann fallen ihm die muskulösen Beine von Knorki auf. Wenn da so viel Power drin ist, wie sie aussehen, dann hat Stinger im Anschwimmen einen Konkurrenten, denkt sich Léon im Stillen. Knorki ist ein Athlet, Schwimmerfigur mit roten Haaren und Sommersprossen.
Da Flosse Léon beobachtet, wie er die Zwei unter die Lupe nimmt, tritt er an ihn heran und flüstert ihm in sein linkes Ohr:
„Sind dir schon die Stampfer bei Knorki aufgefallen?“
„Sie sind…“, antwortet Léon, mit einem zusätzlichen Nicken.
Plötzlich dreht sich Knorki suchend um, als ob er ahnt, dass über ihn gesprochen wird. Als er Flosse entdeckt, geht er auf ihn zu.
„Hallo, ich wollte mich bei dir mal vorstellen“, sagt Knorki. Er ignoriert Léon und beginnt grinsend das Gespräch.
„Ich habe gehört, dass du hier den schnellsten Sprint hinlegst“, provoziert Knorki.
„Ohne überrascht zu sein schwenkt Flosse seinen Kopf, als wenn er wüsste, was jetzt kommt.
„Wie kommst du darauf?“, fragt Flosse ihn und muss sich dabei umdrehen, weil Knorki um ihn herum geht, als wenn er Flosse kaufen will.
„Als Weltmeister, sollte man meinen, dass du hier der Schnellste bist“, antwortet Knorki, indem er seinen bewertenden Blick ausdehnt.
„Und jetzt willst du gegen mich antreten?“
„Ich bin neugierig, ob ich nicht doch ein wenig schneller bin.“
„Du willst mich herausfordern?“, fragt Flosse noch einmal und legt dabei seinen Kopf zum Nachdenken zur Seite. „Ich schwimme nicht gegen jeden. Mm.., aber wenn du gegen den kleinen Dicken dahinten vorführst, was du drauf hast, dann schwimmen wir gegeneinander“, verspricht Flosse lächelnd und zeigt mit dem Finger auf Foggi, der gerade seine Badehose über seinen kugelförmigen Bauch bindet. „Wenn du gewinnst, werden wir feststellen, wie gut du gegen einen Weltmeister aussiehst“, hängt Flosse seiner Rede an und schaut dabei Knorki schmunzelnd in die Augen.
„Einverstanden“, sagt dieser begeistert.
Knorki hätte nicht gedacht, dass er so schnell seine Chance bekommt, gegen den schnellsten Flossenschwimmer der Welt antreten zu dürfen. Sofort macht er sich bereit. Aus der Sporttasche zieht er eine gewaltige Flosse und geht damit zum Startblock Nummer eins. Er setzt sich hin und schlüpft mit beiden Füßen in den Füßling. Da erkennt Flosse Knorkis Trick. Mit einer Monoflosse, will er Foggi besiegen. Mit einem Blick signalisiert Flosse Léon, dass er die Vorbereitung treffen soll, um das Rennen zu organisieren. Léon macht Foggi klar, dass Knorki gegen ihn antreten will. Foggi wirft einen Blick auf die Monoflosse, nickt gelangweilt, da wird auch schon die Bahn von Krake freigemacht. Foggi streift seine Flossen über die Füße, setzt seine Maske auf und stellt sich auf den Startblock Nummer zwei.
„Zwei Bahnen. Das sollte für das Rennen reichen“, spricht Flosse zu den Kontrahenten.
„Seid ihr fertig?“, fragt Léon die beiden.
Beide nicken und er bekommt von jedem noch ein kurzes, „hm…“, zu hören.
„Wenn Knorki gewinnt, dann darf er gegen Flosse schwimmen“, erklärt Léon den anderen, die alle schon das Grinsen nicht mehr verbergen können. Léon hält die ausgestreckte Hand hin und beginnt mit dem Startritual.
„Auf die Plätze“, beide gehen in die Hocke, „fertig“, die Arme gehen leicht nach vorne „und los“, brüllt Léon.
Knorki und Foggi machen einen riesigen Satz in das Wasser. Foggi mit seinem Turbo - Wechselschlag und Knorki legt im Flipperstil (Delfin ohne Arme) los. Beide gehen sofort in den Sprint. Anfangs noch gleich aufliegend, kommt Foggi immer schneller in den Takt. Knorki ist ihm auf den Fersen, aber nach der Wende stößt sich Foggi mächtig ab. Er taucht lange und kommt durch seinen kraftvollen Antritt wieder schnell auf Spurtgeschwindigkeit. Knorki kann nicht mithalten. Abgeschlagen fällt er zurück. Kurz darauf schlägt Foggi mit einer halben Körperlänge vor Knorki an der Beckenkante an.
Flosse geht zu Knorki.
„Das hätten wir dann geklärt!“, lächelt er von oben und auch die anderen Spieler können sich vor Lachen nicht mehr halten.
Knorki kommt aus dem Wasser und kann es nicht begreifen, dass er mit dem Vorteil einer Monoflosse gegen einen Kugelbauchträger verloren hat. Léon stellt sich dazu.
„He, wenn du einen Sparringspartner suchst, ich stehe gerne zur Verfügung“, provoziert ihn Léon, und in diesem Moment wird ihm klar, wie ihn die Mannschaft mit diesen deftigen Scherzen beeinflusst hat.
Knorki verzieht mürrisch sein Gesicht und bleibt wie angewurzelt an der Beckenkante stehen.
„Kennt ihr euch schon länger?“, fragt Léon Mani, um das Eis zu brechen.
„Das kleine Hosenscheißerchen, damit meint er Knorki, kenne ich schon seit Jahren. Wir haben oft zusammen gespielt“, erklärt Mani, weil Knorki zum Sprechen noch nicht in der Lage ist.
„Das heißt, wir sind schon gegeneinander angetreten?“, fragt Léon.
„Na, klar!“, sagt Knorki, der durch die Schmach nur langsam seine Stimme findet.
„Ach ja, du bist mir gar nicht aufgefallen“, wundert sich Léon und spürt, wie überheblich das klingt.
„Mag schon sein, mit Maske und Kappe ist es nicht leicht, jeden auf Anhieb zu erkennen. Da wir gegen euch acht Tore kassiert haben, gibt es auch keinen Grund, sich jemanden von uns zu merken“, meint Mani anstatt Knorki, um auch diese Niederlage noch anzuerkennen.
„Kommst du nun öfter oder seid ihr beide nur zu Besuch?“, fragt Léon interessiert.
„Mani schreibt an seiner Doktorarbeit in Verfahrenstechnik und ich studiere jetzt hier in Berlin Architektur. Wir könnten jetzt regelmäßig kommen“, hofft Knorki, aber da Léon nicht der Trainer ist, weicht er der Frage aus.
„Das Spiel geht gleich los, aber wenn ihr wollt, können wir uns nachher bei einem Bier darüber unterhalten“, versucht Léon freundlich zu sein.
Knorki wird zu Blau und Mani zu Weiß eingeteilt. Die Mannschaften steigen in das Wasser, und von Beginn an geht es richtig zu Sache. Stinger ist heute nicht gut drauf und liefert sich mit Basti einen heftigen Kampf. Man hat das Gefühl, dass Stinger Dampf ablassen muss, was er auch ohne Rücksicht tut. Léon ist dadurch angesteckt und als Stinger ihn von hinten am Hals würgt, holt Léon zum Schlag aus. Er spannt seinen Ellbogen und dreht seinen Körper so, dass er Stinger den Ellbogen mit Schwung in die Magengrube rammt. Stinger lässt Léon sofort los. Er braucht einen Moment, um den Schlag zu verkraften und überlegt, ob er auf Léon losgehen soll. Derweil glaubt Léon, dass Stinger durch seinen übertriebenen Ehrgeiz die Fouls begeht. In Wahrheit wird Léon immer besser, zwingt seine Gegner zu Fehlern, die sich vor allem der Trainer nicht eingestehen will.

Knorki und Mani sind neu und halten sich an diesem Tag aus diesen Auseinandersetzungen raus. Beide machen ein gutes Spiel. Anders als sonst bei neuen Spielern, lässt Stinger die beiden wieder zum Training kommen. Am meisten freut sich jedoch Léon darüber, weil er ab jetzt nicht mehr der Neue von der Uni ist.
„Wie hat es dir gefallen?“, fragt Léon Knorki nach dem Spiel.
„Selten so viel Spaß beim Training gehabt. Ich muss mich allerdings daran gewöhnen, dass es hier richtig zur Sache geht“, antwortet Knorki und stellt die Dusche heißer.
„Keine Angst, der Stress mit Stinger ist nicht so gemeint. Der Club hier benimmt sich wie ein Rudel junger Wölfe. Im Wasser immer zum Zank bereit, aber wenn wir gleich etwas zu essen bekommen, kehrt wieder Ruhe ein.“
„Das meine ich gar nicht. Krake hat meine Pässe abgefangen. Das ist mir zu Hause nie passiert“, sagt Knorki immer noch an seinem Ego kauend.
„Ach so! Mach dir nichts daraus, das passiert mir auch immer noch. Krake ist einfach extrem gut und fängt auch bei erfahrenen Spielern die Bälle ab. Wenn du ihn vor dir hast, dann spiel’ den Ball am besten nach hinten ab. Nur so kannst du sicher sein, dass er ihn nicht bekommt!“, rät Léon ihm.
„Werde ich mir merken“, dankt Knorki.
Nach dem Training fahren die Spieler wie gewohnt zum Vereinslokal. Smirni und Tom, Ehrenmitglieder des BTV´s warten schon auf die Mannschaft. Einer nach dem anderen setzt sich um den großen runden Holztisch. Kurz darauf halten alle ein großes Bier in der Hand und schlagen die Gläser mit Wucht aneinander. Der Gerstensaft schwappt über und es ist ein Wunder, dass bei der Kollision kein Glas zu Bruch geht. Durch die Anwesenheit der neuen Spieler ist der fehlende Nachwuchs das einnehmende Gesprächsthema. Dann steht Stinger von seinem Stuhl auf und versucht die Aufmerksamkeit der Spieler zu erhaschen. Da nur die Hälfte auf die Vortragspose reagiert, rudert er zusätzlich mit den Armen, um auch die andere Hälfte zum Zuhören zu zwingen.
„He Jungs, hört mal eben zu. Budweis richtet im September ein Turnier aus“, verkündet Stinger als Trainer mit lauter Stimme.
Einige Spieler drehen sich wieder weg und wollen das unterbrochene Gespräch wieder aufnehmen. Es interessiert sie nicht sonderlich und abgesehen von dem guten Budweiser Bier, was es dort zu trinken gibt, kann ein mittelmäßiges Turnier sie nicht begeistern. Dann wirft Stinger ein Schlüsselwort in die Runde, was alle wieder aufhorchen lässt.
„Stripperin“, und sofort hat Stinger die volle Aufmerksamkeit.
„Nach dem Turnier gibt es eine Party mit einer Stripperin. Zehn Mannschaften haben sich schon gemeldet, und wir müssen uns beeilen, wenn wir dabei sein wollen!“, setzt er ihnen die Pistole auf die Brust.
Nach einem kurzen, aber lauten Gemurmel, sagen alle sofort zu und stellen sich beim nach Hause fahren die Tänzerin schon in Gedanken vor.

Wenige Wochen danach ist es soweit. Mit drei Autos fahren die Spieler nach Budweis. Ein Auto mit Boris, Krake, Heins, Foggi und ein Wagen mit Léon, Fisch, Flosse und Basti. Das dritte Auto fährt mit Mani und Knorki von Karlsruhe los. Dagegen sitzt Stinger im Zug nach Wien. Er hat in den Karpaten drei Wochen Urlaub gemacht und will jetzt von dort direkt nach Budweis kommen. Der Wagen mit Léon, Fisch, Flosse und Basti überquert gerade die tschechische Grenze. Der Straßenbelag wird immer schlechter. Schlaglöcher von einem Meter Durchmesser müssen bei Tempo 100 km/h von den Stoßdämpfern abgefangen werden. Die Spieler sind gut gelaunt, und das Rumpeln des Fahrwerks stört sie nicht. Sie genießen die vorbeiziehende Landschaft und unterhalten sich wie immer über Tauchball. Plötzlich klingelt das Handy, und weil sie nicht wissen, welches klingelt, suchen Fisch, Flosse und Basti hektisch in ihren Taschen. Dann sieht Flosse das Display leuchten und geht ran.
„Stinger, altes Haus“, brüllt Flosse in sein Handy, weil die Fahrgeräusche so laut sind.
„Hör mal zu!“, schallt es aus dem Handy.
„Was ist los? Hast du deine Tauchballklamotten vergessen, oder bist du vor Dracula auf der Flucht?“
„Mach keine Witze, die Vamps habe ich dort gelassen, aber ich konnte den letzten Zug nicht erreichen, jetzt stehe ich an der Grenze und komme nicht weiter“, jammert Stinger so laut, dass es auch die anderen mithören können.
„Fahr doch per Anhalter!“, schlägt Flosse vor, weil er keine Lust hat, Stinger über einen Umweg abzuholen.
Typisch, immer braucht der eine Extrawurst, denkt Basti auf dem hinteren Sitz. Er ist sich sicher, dass die Grenze nicht auf ihrer Strecke liegt und ihn abzuholen bedeutet für sie einen Umweg von mehreren Stunden. Aber dann hat er eine Idee.
“Knorki und Mani können ihn abholen! Für sie ist es kein großer Umweg, da sie bei Freunden wohnen und aus dem Süden kommen.“
Im Stillen hoffen alle, dass der Kelch an ihnen vorüber geht. Sie sind schon drei Stunden unterwegs und haben noch vier vor sich. Keiner von ihnen hat Lust, stundenlang im Dunkeln durch die Pampa zu fahren, während der Rest der Mannschaft sich die Bäuche füllt.
„Hast du gehört?“, schreit Flosse in das Handy.
„Ja“, ertönt es aus dem Minilautsprecher, „mein Akku ist bald leer. Besprich das mit Knorki und Mani und ruf’ mich dann zurück!“
Das Handy verstummt.
Alle sind sich einig, dass sie die Arschkarte gezogen haben, oder noch ziehen werden.
Aber, mit ein wenig Glück, müssen sie das Ganze nur per Telefon organisieren. Gerade als Flosse Knorki anrufen will, klingelt sein Handy wieder.
„Ja.“
„Hier ist Boris, wie läuft es bei euch?“
„Wir haben die Grenze passiert und genießen die gut entwickelten tschechischen Schlaglöcher“, scherzt Flosse.
„Was von Stinger gehört?“, fragt Boris Flosse.
„Stinger…, der sitzt in Österreich an der tschechischen Grenze fest“, berichtet Flosse gelangweilt in das Handy. Sofort ist das Lachen von Boris und das Lachen von Krake Foggi und Heinz aus dem Hintergrund zu hören.
„Stinger braucht wieder einen Chauffeur. Habe ich recht?“, ahnt Boris das Problem.
Aus dem Handy ist wieder das Hintergrundlachen der Schadenfreude von allen zu hören.
„Wir sind schon zu weit. Ihr seid hinter uns. Ihr könnt ihn abholen!“, dreht Flosse den Spieß um.
Schlagartig verstummt das Lachen.
„Mani und Knorki kommen doch aus dem Süden, für die ist es viel günstiger, Stinger zu holen“, stottert Boris in das Handy.
„Darüber haben wir schon nachgedacht“, sagt Flosse für diese Situation zu ehrlich.
„Dann viel Spaß!“, wünscht Boris in das Handy und legt prompt auf.
Flosse wählt die Handy Nummer von Knorki.
„Wer da?“, schallt es mit forscher Stimme aus dem Handylautsprecher.
„Ich, es gibt ein Problem“, beginnt Flosse und spielt dabei nervös mit den Lüftungsschlitzen des Autos.
„Dann schieß mal los!“, fordert ihn Knorki mit Tatendrang auf.
„Stinger sitzt an der österreich-tschechischen Grenze fest. Er hat den letzten Zug verpasst und ein Hotel ist ihm zu teuer“, wiederholt Flosse die Geschichte.
„Typisch. Jetzt das Problem?“, erkundigt sich Knorki, ohne zu ahnen, was auf ihn zukommt.
„Ihr müsst ihn abholen!“
„Gut, und wie sollen wir das ohne Karte machen? Wir haben nur einen Routenausschnitt Stuttgart - Budweis aus dem Internet ausgedruckt. Österreich ist da nicht drauf“, erklärt Knorki und glaubt so, sich aus der Affäre ziehen zu können.
„Ihr könnt euch von Boris den Weg erklären lassen, er hat eine Karte dabei“, hilft Flosse das Problem zu lösen und bricht dabei den Plastikhebel des Lüftungsgitters ab.
Léon sieht Flosse ärgerlich an, wie dieser den abgebrochenen Hebel stillschweigend in die Ablage legt.
„Wenn es sein muss“, erwidert Knorki resigniert, „ich ruf’ Boris an und lass’ mir den Weg erklären.“
Im Wagen von Léon, Fisch, Flosse und Basti macht sich Entspannung breit und keiner von ihnen hatte geglaubt, dass der Kelch so leicht an ihnen vorbei gehen würde. Kurz darauf klingelt wieder das Handy und Flosse geht ran.
„Wie sieht es aus?“, quäkt Stinger aus dem Handy.
„Knorki holt dich ab, du kannst relaxen!“, berichtet Flosse entspannt.
„OK, dann organisier’ das!“, feuert Stinger den Befehl mit der Macht des Trainers in das Handy.
Flosse sieht Léon Hilfe suchend an. Fisch, Basti und Léon halten sich die Bäuche vor Lachen und Flosse wiederholt mit verzweifeltem Gesichtsausdruck den aufgetragenen Befehl. Flosse weiß, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist. Dann meldet sich Krake aus dem anderen Wagen.
„He Flosse, Knorki und Mani ist schon zu spät dran und wir sind weit hinter euch. Am besten ist es, wenn ihr ihn abholt!“, empfiehlt Krake mit Nachdruck in das Handy.
Da war sie wieder, die Arschkarte. Flosse wird bleich, und er hat keine Chance, da raus zu kommen.
„Zuerst fahren wir nach Budweis! Da Flosse meinen Wagen demoliert hat, kann er Stinger alleine abholen!“, schlägt Léon vor, dabei holt er den Hebel vorwurfsvoll aus der Ablage. Für Fisch und Basti Grund genug schnell zu zustimmen.
Wieder schrillt es. Léon reißt sein Handy aus der Tasche an sein Ohr.
„Es reicht jetzt!“, brüllt Léon genervt, „Flosse holt dich ab!“
„… hier ist Fischer“, hört Léon mit dem Daumen am Ausschalter des Handys.
„Ach, Herr Fischer. Tut mir leid. Ich habe nicht sie gemeint“, entschuldigt sich Léon und versucht freundlich zu werden.
„Schon verstanden, ich wollte ihnen nur mitteilen, dass zwei Webcams vom Steg ausgefallen sind. Jemand muss die Kameras mitgenommen haben“, meldet Fischer.
„Kein Problem. Diese Dinger sind sehr gefragt. Ich bringe die Woche neue mit“, sagt Léon überfreundlich.
„Prima, dann noch viel Spaß beim Abholen“, neckt Fischer.
Stunden später kommen sie im Hotel an. Die Sporttaschen werden mit Getöse auf die schlichten Zimmer gebracht. Kurz darauf trifft auch der Wagen mit Foggi, Krake, Boris und Heins ein. Alle reichen sich die Hand, und Informationen über die Geschichte mit Stinger werden ausgetauscht, während sich Flosse mürrisch auf den Weg macht, um seinen Trainer abzuholen. Hungrig sind die Spieler und sie beschließen, essen zu gehen. Der Portier erklärt ihnen den Weg zum Restaurant. Als sie vor die Türe gehen, ist es bereits finstere Nacht. Zu Fuß laufen sie an zahlreichen Plattenbauten vorbei und sind froh, dass sie das Restaurant auf Anhieb finden. 40 Minuten später wird das Essen serviert, da kommen Mani und Knorki die Tür herein. Sie werden begrüßt und beide wollen hören, was es Neues von Stinger gibt. Als Basti zu erzählen beginnt klingelt das Handy von Krake und Flosse ist am Apparat.
„Das sind hier die schlechtesten Straßen, die ich je gesehen habe. Die Waldstraße ist so dunkel, dass selbst das Scheinwerferlicht auf dem nassen Asphalt nicht zu sehen ist. Ich bin mir sicher, dass ich mich verfahren habe und Stinger geht nicht ans Telefon“, stöhnt Flosse frustriert.
„Prima. Was können wir tun?“, fragt Krake mit gespielter mitleidvoller Stimme.
„Nichts, ich wollte euch das nur mitteilen“, brummt Flosse und legt wütend auf.

Eine Stunde später ist die Mannschaft fertig mit dem Essen, da fuchtelt Knorki ungeduldig mit dem ausländischen Geld herum. Er will zahlen, wird aber von der vollbusigen Bedienung mit Mäusestimme ignoriert. Ein älteres Paar wird von ihr am Nachbarstisch bedient, da riskiert sie einen genervten Blick in Richtung der Spieler. Knorki wedelt mit dem Geldschein und als sie absichtlich nicht reagiert pfeift er nach ihr.
„Wenn du machst so weiter, kannst du Geldschein in Hintern stecken!“, piepst die tschechische Bedienung in gebrochenem Deutsch.
Typisch für solch einen Augenblick. Krake sieht Heinz und Foggi über den Tisch der Reihe nach an und erhält von beiden ein zustimmendes Nicken sich finanziell an der Wette zu beteiligen.
„Eine Kiste Sekt, wenn du es tust“, dabei schaut er Knorki fragend an. Knorki ist gezwungen, zu antworten. Es gibt für ihn nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Wette abzulehnen und wie damals, als er das Wettschwimmen mit Foggi verloren hat, als Verlierer dazustehen oder Mut zu zeigen, die Wette anzunehmen, eine Kiste Sekt für die Mannschaftskasse zu verdienen und alle anderen in einen Schock zu versetzen. Er hält inne und nach einer Weile beginnt er den Geldschein gemächlich zusammen zu rollen. Die Mannschaft schaut ihm dabei wortlos zu. Dann zieht er sich im Sitzen die Hose runter, schmiert den gerollten Schein mit Butter ein und steckt sich diesen in den Hintern. Zum Entsetzen aller, holt er den Schein wieder raus, säubert den Rand mit einer Serviette und bezahlt sein Essen damit. Fünfzehn Augenpaare starren ihn entgeistert an. Bei drei Spielern geht der Mund nicht mehr zu und es dauert eine ganze Weile, bis die ersten wieder zu Reden beginnen.

Später, als die Spieler in die finstere Nacht zum Hotel gehen, entdecken Léon, Fisch und Basti eine vereinsamte Neonreklame. Die Beleuchtung führt die Drei zu einer versteckten Disco um die Ecke. Es ist recht wenig los. Da ihnen die Musik gefällt, wollen sie dennoch bleiben und alle drei bestellen sich ein Mixgetränk an der Bar. An der Tanzfläche angekommen, knallt Basti bei dem Anblick einer Tabledancerin die Optik aus dem Gesicht, da klingelt das Handy von Léon und Flosse ist dran.
„Stinger sitzt bei mir im Auto, aber eins ist sicher, nie wieder werde ich seine Anordnungen befolgen!“, klagt Flosse mit niedergeschlagener Stimme in das Handy.
„Du wirst ihn gleich wieder zurück nach Österreich bringen, wenn ich dir erzähle, was ich vor meinen Augen habe“, brüllt Léon in das Mikrofon des Handys und beginnt, Flosse die Tabledancerin mit innerlicher Freude bildlich zu beschreiben.
Eine Frau in kniehohen Latexstiefeln hängt kopfüber an einer polierten Stange. Nur mit einem knappen Tangahöschen bekleidet, zeigt sie den Männern ihre Weiblichkeit. In ständig wechselnden Posen tanzt sie im Rhythmus des Discosounds. Léon, Basti und Fisch sehen sich ungläubig an. Nur das zufriedene Grinsen von Basti zeigt ihnen, dass es wahr sein muss, was sie da zu sehen bekommen. Die Frau hat dunkles, langes Haar, einen wohlgeformten Busen und unendlich lange Beine, die sie bis zu ihrem Kopf hochwerfen kann. Sie dreht sich herum und beugt sich mit gespreizten Beinen vornüber, um dann wieder an der glänzenden Stange einen Luftspagat kopfüber vorzuführen.
Als Léon mit der Beschreibung fertig ist, brüllt Flosse Stinger für das Entgangene wütend an und schaltet sein Handy aus. Für Basti und Léon erhöht sich der Spaß, da nun das Bedürfnis der Schadenfreude auch noch befriedigt wird. Erst zu später Stunde kehren die drei in ihr Hotel zurück und nur langsam erlischt in ihren Köpfen das Gesehene.

Früh am Morgen macht sich die Mannschaft zum Turnierbad auf den Weg. Vor dem ersten Spiel schwimmt sich Léon mit seinen Kameraden im Becken ein. Stinger ordnet eine Staffel von Tauch- und Sprintübungen an, um den Puls hoch zu treiben. Nach dem Einschwimmen treffen sich alle Spieler in einem Nebenraum zur Mannschaftsbesprechung. Stinger erklärt den Spielern, dass sie es jetzt mit einem hammerharten Gegner zu tun haben werden. Krefeld hat sich dieses Jahr vorgenommen, Meister zu werden. Sie verfügen über extrem starke Spieler, wovon die meisten in der Nationalmannschaft spielen. Für das erste Spiel kann es nach Stingers Meinung nur eine Taktik geben, aus der Defensive heraus das Spiel zu gewinnen. Für das Berliner Team bedeutet das nichts anderes als eine wilde Abwehrschlacht und die Hoffnung auf ein Kontertor.

Drei Sekunden vor dem Spiel sind alle im Wasser und konzentrieren sich auf das Anschwimmen. Stinger und Flosse krallen sich mit ihren Fingerspitzen in den Plastikrost des Wasserablaufs. Ein Bein haben sie angewinkelt und hochgestellt, um sich bei Spielbeginn mit Kraft vom Beckenrad abstoßen zu können. Dann ist der Hupton zu hören und Stinger stürzt dem Ball entgegen. Kaum hat er ihn, da wird ihm dieser auch schon mit Wucht aus der Hand geboxt. Der Krefelder sammelt den Ball ein und spielt einen Pass zu einem extrem kräftigen Mitspieler. Dieser presst den Ball sofort in seine Armbeuge und taucht dicht über dem Grund des Beckens auf Léon zu. Er sieht seinen Gegner wie ein Torpedo mit Tempo auf sich zukommen und ist sich sicher, dass er gleich einen Zweikampf führen wird.
„So kann er nicht an mir vorbei, er müsste schon durch mich hindurchschwimmen“, geht es Léon durch den Kopf.
Léon will zupacken, da macht der Muskelprotz im letzten Augenblick eine kraftvolle Körperdrehung und taucht einfach an Léon vorbei. Von dieser Aktion schockiert, bleibt Léon nichts anderes übrig, als der Muskelmasse hinterher zu sehen, wie sie in Richtung Tor davonpowert. Zum Glück kommt Deckel rechtzeitig, der den Angreifer noch in der Bewegung zum Korb unsanft stoppt. Als Torwart dreht er sich mit dem Rücken zum Korb, und seine Hacke schnellt von oben nach unten und haut dem Gegner den Ball aus der Armbeuge. Aber noch ist die Gefahr nicht vorbei. Ohne eine Schrecksekunde sammelt der Stürmer den Ball wieder ein und geht wütend auf Deckel los, bis er schließlich das Tor legen kann.

Nach dem Spiel klettert Léon aus dem Sprungbecken, da kommt Flosse schwimmend auf ihn zu.
„Du hättest gestern früher schlafen gehen sollen!“, sagt Flosse mit vorwurfsvollem Blick.
„Schon gut. Durch meine Schuld haben wir verloren!“, jammert Léon deprimiert.
„Du hattest eine Begegnung mit Sharki, dem besten Spieler Deutschlands, da sollte man schon fit sein“, klärt Flosse Léon auf, als er merkt das Léon ein Problem hat.
„Das erklärt einiges, aber entschuldigt nichts“, sagt Léon und schwört, dass ihm das nicht noch mal passieren wird. Trotzdem braucht Léon eine Weile, um diese Erfahrung zu verarbeiten und er kommt zu dem Schluss, dass er in dieser Situation zu viel gedacht hat, anstatt mit seinen schnellen Reflexen zu handeln.

Die Mannschaft absolviert die weiteren Spiele und Berlin hätte am Ende besser abschneiden können, wenn sie nicht ein Tor durch einen Strafwurf von der gastgebenden Mannschaft kassiert hätten. Der dritte Platz war nicht das Optimum, was der Stimmung dennoch nicht schadete, weil es an diesem Abend nicht das wichtigste Ereignis bleiben sollte. Alle Mannschaften beeilen sich mit dem Umziehen und das Duschritual fällt dieses Mal extrem kurz aus. Bei der anschließenden Feier teilt die Turnierleitung den Mannschaften über das Hallenmikrofon mit, wo die Siegerehrung stattfindet und das kalte Buffet für die Spieler aufgebaut wird. Da die meisten Spieler mit vollem Magen unter Wasser schlecht kämpfen können, haben sie während des Turniers außer einen Haufen Bananen kaum etwas gegessen. Die Spieler verbrauchen im Wasser viel Energie, und jeder von ihnen ist froh, sich am Buffet den Bauch voll schlagen zu können. Bis auf Stinger stillen alle Spieler ihren Hunger. Als Trainer wurde er aufgehalten, schafft es aber als letzter einen Teller zusammen zu kratzen. Einerseits enttäuscht, dass das Buffet schon so geplündert ist, aber andererseits auch froh, wenigsten noch einen gehäuften Teller ergattert zu haben, macht er den Fehler seines Lebens. Um sich einen Stuhl zu holen, stellt er seinen Teller auf den Tisch ab. Flosse kann es nicht glauben, dass er den vollen Teller von Stinger vor sich stehen hat. Rache denkt Flosse. Er hat das unnötige Abholen und den entgangenen Spaß in der Disco noch nicht vergessen. Er sieht Basti, Léon und Fisch in die Augen. Dann geht alles blitzschnell. Alle vier greifen gleichzeitig zu einer Gabel und machen sich über den Teller von Stinger her. Die Gier ist so groß, dass selbst Hyänen geflüchtet wären. Die Gabeln schnellen wie eine Nähmaschinennadel vor. In Sekunden ist der Teller leer. Stinger dreht sich um, sieht sich seinen völlig blank geputzten Teller an, lässt dann den Stuhl fassungslos aus seiner Hand fallen, während die ganze Mannschaft durch das Poltern des Stuhles den Trainer anschaut und gespannt seine Reaktion abwartet. Wütend versucht dieser den Täter ausfindig zu machen. Er nimmt Léon ins Visier, aber da sich die gesamte Mannschaft vor Lachen ihre Bäuche hält, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich in sich hinein zu ärgern.

Die Musik wird abrupt abgestellt und ein Sprecher beginnt mit der Siegerehrung, während die Bühne für den Auftritt der Stripperin umgebaut wird. Kaum hat der Sprecher die letzte Mannschaft für ihre Leistungen gelobt, schreitet die Blondine in einem Umhang gehüllt an den jubelnden Männern vorbei. An der improvisierten Bühne angekommen, wird sie mit Applaus begrüßt. Heißer Rhythmus setzt ein, da wird Léon plötzlich sanft an seiner Hand berührt. Sie steht dicht bei ihm, dennoch sieht er über sie hinweg. Unwillig senkt er seinen Blick und sieht Mira in ihre grünen Augen. Die Haare wieder anders, aber an ihren hervorstehenden Wangenknochen erkennt er Mira sofort.
„Kannst du dich noch an mich erinnern?“, säuselt sie, obwohl sie genau weiß, dass diese Frage rein rhetorisch ist.
Diesmal fehlen ihm die Worte nicht.
„Wie sollte ich. Du bist doch die, die leidenschaftlich Jungs vermöbelt. Mira ist dein Name und bei der Unimannschaft hat dich auch noch niemand vergessen“, kramt Léon in seinem Gedächtnis und versucht so, seine Überraschung zu verbergen.
„Stimmt, es macht mir Spaß Jungs zu verprügeln, das war bei mir schon immer so“, spottet Mira keck.
„Jetzt bin ich dran!“, flirtet Léon.
„Nicht hier. Es wird sich schon eine Gelegenheit finden“, steigt Mira darauf ein.
„Du hattest damals deine Chance. Jetzt bin ich wohl zu groß für dich?“, fragt Léon selbstbewusst.
„Werden wir noch sehen“, antwortet sie darauf. „Aber es ist richtig, du warst der einzige, der sich innerhalb eines Spieles auf mich einstellen konnte. Ich habe mir damals schon gedacht, warum du nicht beim BTV spielst?“
„Mit einem Tritt in meinen Hintern hat es doch geklappt!“, witzelt Léon.
„Ganz richtig“, lacht Mira.
„Verzeihst du mir?“, schmunzelt Léon.
„Schon…, nur warum hat das Jahre gedauert?“, will sie wissen.
„Der BTV hatte damals noch keine Website und da habe ich etwas gebraucht, um den Verein zu finden“, lügt Léon frech.
„Oder sie dich. Ich habe gehört, wie sie dich entdeckt haben und dabei hätten sie nur mich fragen müssen. Das wäre einfacher, besser und schneller gewesen“, schimpft sie mit Arroganz in der Stimme.
„Ich nehme an, dass du als Beraterin nicht zur Hand warst, sonst hätten sie es getan“, entschuldigt sich Léon für den BTV.
„Das ist heute dein erstes richtiges Turnier?“, wechselt Mira das Thema.
„Stimmt“, nickt Léon, ohne zu wissen worauf sie jetzt hinaus will.
„Ich habe dich gesehen, du bist ganz gut zurecht gekommen“, lobt sie ihn.
„Dich heute hier zu treffen, ist das Zufall?“, weicht Léon aus, da er über die Begegnung mit Sharki nicht reden will.
„Nein. Ich habe gehört, dass du kommst. Auch wurde mir gesagt, dass du immer noch in Babelsberg lebst.
„Das ist richtig. Wer ist dein Informant?“, wird Léon neugierig.
„Ich habe mehrere, aber das ist jetzt nicht so wichtig.“
„Wobei kann ich helfen?“
„Ich ziehe nach Potsdam.“
Mira versucht in seinen Augen eine Reaktion abzulesen.
„Wann denn?“
„Wenn der Frühling kommt.“
„Ziehen dich die blühenden Landschaften an?“, witzelt Léon.
„Nein, nur das Forschungstauchen. Ich bin Meeresbiologin und arbeite im Frühjahr in einer Außenstelle des Alfred Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung in Potsdam“, erklärt Mira stolz.
„Verstehe, durch die Taucherei bist du dann zum Tauchball gekommen?“
„Umgekehrt, vom Unterwasser Rugby bin ich zum Forschungstauchen gekommen.“
„So? Das Institut ist bei mir in der Nähe.“
„Ich weiß. Ich habe nur ein Problem“, sagt Mira mit sorgenvoller Mimik.
„Du suchst eine Wohnung. Dabei kann ich dir helfen“, kommt Léon ihr zuvor.
„Das ist wirklich lieb von dir“, sagt sie. „Aber ich habe noch keine Unterkunft für mein Pferd. Das ist mein Problem.“
„Was für ein Pferd?“
„Diego. Ein schwarzer Araber. Er bedeutet mir viel, und ich muss ihn irgendwo unterbringen.“
„Pferdeställe gibt es in Brandenburg genug. Es dürfte kein Problem sein ein Plätzchen für Diego zu finden. Darum könnte ich mich kümmern“, bietet Léon seine Hilfe an.
„Darüber würde ich mich sehr freuen“, und sie legt ihr schönstes Lächeln auf.
„Aber, wie ist es mit dir? Hast du schon eine Bleibe?“, fragt Léon noch einmal.
„Nein, noch nicht, aber ich werde schon etwas finden.“
„Ich kann dir für den Anfang mein Boot zur Verfügung stellen. Ich habe es über den Winter im Wasser gelassen. Da ist zwar nicht so viel Platz wie in einer richtigen Wohnung, aber es ist alles vorhanden, was man so braucht“, poltert Léon heraus und hofft, dadurch ihre Sorgen vertreiben zu können.
Auf einem Boot wohnen …, überlegt Mira.
„Das hört sich spannend an. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das annehmen kann?“, fragt Mira schüchtern.
„Natürlich kannst du!“, bestimmt Léon. „Und bis zum nächsten Winter, hast du sicherlich eine richtige Wohnung gefunden.“
„In Ordnung“, flüstert sie. „Ich muss leider los. Meine Mitfahrgelegenheit wartet schon. Wir sehen uns das nächste mal bei dir“, freut sich Mira, während sie mit wiegendem Schritt davongeht.

Am nächsten Tag, auf der Rückfahrt nach Berlin, sitzen anstatt Basti und Fisch jetzt nur Stinger mit Flosse bei Léon im Wagen. Léon denkt an Mira und fragt sich, ob sie wirklich kommen wird.
„Das war gestern nicht unser Tag, wir hätten mehr rausholen können“, beginnt Flosse enttäuscht und kurbelt dabei das Fenster runter.
„Hättest du das Tor gegen Budweis vollendet, hätten wir gewonnen, dann wären wir Zweiter geworden“, stupst Stinger Léon an.
„Es lag nicht an mir. Uns hätte der Wechselfehler nicht passieren dürfen. Ein Spieler zuviel im Wasser ist nicht erlaubt. Und dann noch der Strafwurf“, erinnert sich Léon verbittert.
„Der hat sich einfach bei mir in den Arm reingedreht, und der Schiedsrichter glaubte, ich würde den Budweiser würgen“, entschuldigt sich Stinger.
„Beim Training passiert dir das ständig, nur da ist kein Schiedsrichter oder Trainer, der dich maßregelt“, kritisiert Léon Stinger und ist froh, ihm das bei dieser Gelegenheit einmal sagen zu können.
„Wie auch?“, sagt Stinger, „der Trainer bin doch ich.“
„Eben“, sagt Léon.
Stinger schluckt, will aber die Schuld von sich weisen, da kommt ihm Léon zuvor, weil er weiß, dass er sich hier rausreden wird.
„Was macht das Bergungstauchen? Schon mal was Richtiges rausgeholt?“, wechselt Léon das Thema.
„Kommt darauf an, was du unter Richtiges verstehst. Vor drei Jahren habe ich mit meinem Team ein Segelboot gehoben“, antwortet Stinger stolz.
„Was ist passiert?“, fragt Léon neugierig.
„Ein Schlauch von der Toilette war undicht und der Eigner hatte das Seeventil nicht abgesperrt. Das Boot ist am Ankerplatz voll gelaufen und gesunken. Das Gesicht des Eigners hättet ihr sehen sollen, als wir das Wrack gehoben haben“, erzählt Stinger vergnügt.
„Bist du schon im ‚Tiefersee’ getaucht?“, fragt Léon neugierig.
„Nein, bisher noch nicht, der See liegt hinter der Glienicker Brücke und das war früher Gebiet der DDR“, erklärt Stinger.
„Richtig“, bestätigt Léon und schaltet dabei einen Gang höher. Der Wagen beschleunigt, und die dröhnenden Geräusche werden lauter.
„Warum fragst du?“, will Stinger wissen.
„Ich habe seit einigen Jahren ein Problem, und ich könnte deine Hilfe gebrauchen“, beginnt Léon vorsichtig.
„Wobei kann ich helfen?“, wird Stinger freundlich, als wenn er und Léon nie ein Problem miteinander gehabt hätten.
„Ich habe die Vermutung, dass auf dem Grund des ‚Tiefersees’ etwas versenkt wurde.“
Um seine Reaktion sehen zu können dreht Léon seinen Kopf zu ihm hin. Stinger überlegt, ob er loslachen soll. Da er aber selbst von dem Bergen eines Schatzes träumt, spitzt er nur seine Ohren.
„Dann schieß mal los, wo sollen wir die Moneten heben? Ich bin auf jeden Fall dabei, egal um welchen Blödsinn es sich handeln mag“, versichert Stinger mit ernster Miene.
Diese Aussage schafft bei Léon Vertrauen und da erzählt er von dem Stück Leinenpapier und von dem, was er sonst noch heraus bekommen hat….
Gebannt hören Stinger und Flosse eine Weile zu. Als Léon zum Ende kommt, versucht Flosse aus Gewohnheit die Story im Kopf in Fakten und Unsinn zu teilen.
„Hört sich nicht schlecht an!“, grübelt Stinger und schaut Léon mit verschmitzen Augen an.
Léon erwartet, dass Stinger ablehnen wird, als er erfährt, dass Léon mit Flocke schon vor Ort getaucht ist, aber nichts gefunden haben.
„Du und dein Freund habt in solchen Dingen keine Erfahrung. Es besteht die Möglichkeit, dass ihr nicht gründlich genug gesucht habt. Wir sollten uns die Sache gleich morgen noch einmal ansehen!“, bestimmt Stinger, als sie in Babelsberg ankommen.
„In Ordnung“, verabschiedet sich Léon von beiden. Er ist froh von ihnen endlich Hilfe zu bekommen.

Kapitel 10: Der Fund im "Tiefersee"