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Kapitel 5

Der Ausgangspunkt


Anfangs verfügt Léon nur über wenig Segelerfahrung, aber mit den Jahren lernt er das ganze Potenzial der sportlichen Yacht kennen. Auf zahlreichen Törns erkundet er die brandenburgischen Gewässer. Und bei einer Fahrt mit Flocke macht er auf dem Griebnitzsee eine Entdeckung. Als sein Freund gerade auf die Wasserwanderkarte schaut, taucht vor ihnen am Ufer die rosafarbene Fassade der Villa auf.
„Sieh da, das ist das Haus Urbig, die Villa von Mies van der Rohe, wo einst der Prof. Dr. Sander wohnte!“, ruft Léon aufgeregt.
Automatisch nimmt Léon das Gas weg und beide starren das Gebäude an.
„Kannst du dich noch an das Foto erinnern?“, fragt Léon Flocke aufgeregt.
„An welches Foto?“, erwidert Flocke die Frage.
„An das Bild mit dem Professor vor diesem Haus, das ich über dem Kartentisch gefunden habe“, antwortet Léon und zeigt mit dem Finger auf die Villa.
„Hast du noch das Leinenpapier mit den Koppelangaben?“, erinnert sich Flocke plötzlich.
„Nicht hier, aber die Kurse habe ich im Kopf!“
Neugier flammt bei Flocke auf und Léon sieht den kleinen Zylinder mit der Aufschrift Godewind 1932 vor seinem geistigen Auge aufblitzen.
„Die Kurse? Wie lauten die Kurse?“, hetzt Flocke Léon.
„290°; 235°; 270°“, spult Léon hervor, und Flocke entspannt die Falten auf seiner Stirn.
Gebannt schauen beide auf die Kompassrose. Vorsichtig richtet Léon die Bird of Prey aus, und die Kompassscheibe beginnt sich wie ein Glücksrad zu drehen. Léon pendelt das Schiff bei Strich 290° ein und ist erstaunt, als der Bug zum Ausgang des Sees zeigt.
Aufgeregt wie ein Kind, bekommt Flocke eine Gänsehaut und fordert Léon auf, Gas zu geben. Die Maschine heult auf und die Segelyacht nimmt wieder Fahrt auf.
“Ich bin gespannt, was passiert, wenn wir in die Glienicker Lake einbiegen“, ruft Léon vor Neugier platzend.
Obwohl sein Gefühl die Antwort kennt, starren beide wieder gebannt auf die Kompassscheibe. Beim Einbiegen dreht die Kompassscheibe auf exakt 235° dem Tonnenstrich folgend.
„Das kann kein Zufall sein!“, ist Léon begeistert.
„Das Haus Urbig ist ein Ausgangspunkt!“, ruft Flocke aufgeregt.
Léon ärgert sich, warum er nicht schon früher darauf gekommen ist. Dann stoppt Léon die Yacht auf und steuert zurück zum Wassergrundstück, um von neuem zu beginnen. Er stellt die Logge auf Null und wiederholt das Koppeln, nur, dass jetzt die Logge die Strecke zählt. Dass die Kurse stimmen, wissen sie, aber passen auch die Streckenangaben dazu? Beide stellen sich im Geiste diese Frage. Léon überlegt und erinnert sich. Genau nach 0,8 Seemeilen bei der roten Tonne der Wasserstraßenkreuzung in der Glienicker Lake muss Léon, wie auf dem Leinenpapier beschrieben, den Kurs von 235° Südwest anlegen. Nach 0,4 Seemeilen ändert er den Kurs auf 270° und fährt ein Stück in Richtung Ufer. An dieser Stelle ist die Tiefe nur gering und Léon muss mit der Hydraulik die Kielbombe anheben, während Flocke den Bruceanker ins Wasser fallen lässt.
„Hier muss es sein!“, ruft Léon aufgeregt und auch Flocke kann es kaum erwarten der Sache auf den Grund zu gehen. Léon holt seine Tauchermaske, Schnorchel und Flossen aus der Sporttasche. Er springt in das Wasser. Es ist kalt, aber das stört ihn nicht. Die Sicht ist schlecht, deshalb taucht Léon nur langsam durch das braungrüne Wasser zum Boden. Nach einer Weile kommt er wieder hoch, um es noch einmal zu versuchen. Das Wasser ist nur wenige Meter tief, aber den Grund kann er von oben nicht erkennen. Da er nicht weiß, wonach er sucht, steckt er ein Tauchermesser zum Graben ein. Zusätzlich nimmt er ein Stück Blei, um sich besser in der Tiefe zu halten. Er vergrößert seinen Radius und durchwühlt mit dem Messer den algenbedeckten Boden.
Eine halbe Stunde lang tauchen Flocke und Léon immer wieder auf und ab. Dann geben sie schließlich auf und beide machen sich über den Misserfolg Gedanken. Haben sie präzise genug gekoppelt? Hatte der Skipper damals schon eine geeichte Logge? Wie ungenau ist das Ganze? Mehr und mehr Fragen schießen ihnen durch den Kopf und mit jeder weiteren schwindet ihre Hoffnung, bis sich nur noch Ernüchterung breit macht. Frustriert brechen sie ihr Vorhaben ab, sie setzen die Fahrt fort und hoffen an einem anderen Tag mehr Glück zu haben.

Kapitel 6: Das Wiedersehen