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Kapitel 15 Teil 2

Beweis für die Existenz von Vineta sein. Die meisten Berichte über die Stadt Vineta wurden schließlich von Handelsreisenden verfasst. Sie waren es, die über ihre Reisen berichteten und dabei die große Handelsstadt erwähnten.“ 
„Das heißt, die ganze Welt ist nach Vineta gekommen, um ihre Waren zu tauschen?“, fragt Stinger erstaunt.
„Richtig, und was den Handel anging, waren die Einwohner sehr fortschrittlich. Sie tauschten die Waren nicht einfach gegeneinander, sondern bezahlten mit Bernsteinperlen oder mit Leinengeld, welches von der Eichbehörde gegen Gold, Silber und Edelsteine ausgegeben wurde.“
Léon grübelt…: „Eichbehörde, Leinengeld? Jetzt weiß ich, wovon Gerda Franke spinnt.“
Flocke, Stinger und Mira sehen Léon verblüfft an. 
„Wo lagerte die Eichbehörde die Wertsachen?“, fragt Léon aufgeregt.
Auch das weiß Mira. Sie hat es bei den Recherchen über die Stadt Jumme auf einer Museumswebpage gelesen. 
„In einem Erdloch unter dem Haus Wiek“, stottert Mira, als sie begreift, worauf Léon hinaus will.
„Die erste Zentralbank des Mittelalters war ein Erdloch?“ Stinger schmunzelt mit Andacht.
Flocke schaut Mira bewundernd an.
„Ohne Zweifel ist die Alte verrückt, aber in einem Punkt könnte sie recht haben“, spekuliert Léon. 
„Angenommen Vineta wurde in einer Nacht durch eine Sturmflut weggespült, dann ist anzunehmen, dass auch das Loch überflutet wurde. Niemand konnte bei so einer Katastrophe etwas fortschaffen.“
„Richtig? Nur wenn wir Pech haben, dann glauben unsere Verfolger das auch“, kombiniert Mira und schaut die anderen fragend an.
„Möglich, aber jetzt wissen wir endlich, worum es hier geht“, freut sich Stinger und schlägt sich dabei sorglos mit der Hand auf seinen Schenkel.
„Schön, aber wo ist das Haus Wiek?“, fragt Léon in die Runde.
„Das ist doch klar, dort wo die Koppelkurse des zweiten Standorts hinführen. Der Professor ist jahrelang mit der Godewind vor der Küste Rügens gekreuzt. Wenn man bedenkt, dass er jahrzehntelang an dem Thema geforscht hat, könnte er auch das Haus Wiek entdeckt haben“, meint Mira.
„Leider kam er auf mysteriöse Weise ums Leben. Der Sohn erbte den Schlüsselanhänger der Godewind mit den Koppelangaben als Hinweis zum Haus Wiek und als er sich ebenfalls auf die Suche nach dem Erdloch machte, musste auch er sterben, weil eine verrückte Frau an das Erbe einer Sage glaubt“, spekuliert Léon. 
„Vielleicht hat der Professor Kopien seiner Aufzeichnungen der Tochter vermacht“, denkt Mira laut.
Stinger macht den Mund auf und schmeißt sich Salznüsse bis an den Gaumen. 
„Genau, wo sind seine Arbeitsunterlagen? Er hat doch jahrelang an dem Thema geforscht, da muss doch ein Haufen Papier entstanden sein.“, fragt er und kaut geräuschvoll auf den Nüssen.
„Vielleicht haben die Mörder sie gestohlen“, sagt Léon.
„Eines dürfte klar sein. Solange wir nicht genau wissen, wo der Standpunkt 2 liegt, ist eine weitere Suche für uns zu gefährlich. Die Verrückte sitzt nun fest, aber ihre Handlanger machen auf eigene Rechnung weiter und sie suchen das Erdloch wie wir“, folgert Flocke.
Mira sieht Flocke an.
„Wenn wir danach suchen, sind wir in der gleichen Situation wie damals der Professor. Nämlich den Standort von Vineta so lange geheim zu halten, bis wir das Haus Wiek gefunden haben!“, erkennt Mira messerscharf.
Dazu sollten wir uns vorerst in Sicherheit bringen! Weit weg, wo niemand uns finden kann“, schlägt Léon vor.
„Bei Lübeck gibt es sehr viele und vor allem große Yachthäfen. Dort ist es schwer die Bird of Prey zu finden“, weiß Stinger.
„Du meinst Neustadt oder Heiligenhafen“, nickt Léon zustimmend mit dem Kopf.
„Ich bin für Heiligenhafen. Die Marina liegt in der Nähe vom Ortskern. Außerdem ist die Insel Fehmarn nicht weit, wo es weitere Häfen zum Flüchten gibt“, ergänzt Stinger.
In dieser Nacht kann niemand schlafen und noch bevor die Sonne aufgeht, startet Léon den Bootsdiesel. Er bindet die Mooringleine los, wirft das Ende der Leine mit einem klatschenden Geräusch ins Wasser und holt diese ein. Vorsichtig manövriert er die Bird of Prey durch die Untiefen bei der Hafenausfahrt und setzt Kurs auf den Yachthafen Kühlungsborn. Von dem Lärm der Maschine wachen Mira, Flocke und Stinger auf. Kurz danach werden die Segel gesetzt und die Yacht legt sich in den Wind, während Flocke Léon eine heiße Tasse Kaffee ins Cockpit reicht. Stinger und Mira sitzen schweigend auf der Bordkante, während die Bird of Prey auf den sanften Wellen gegen Westen segeln. 
In der Gewissheit, noch sieben Stunden segeln zu müssen, holt Mira Brot, Käse und eine Flasche Cidre aus der Kombüse. 
„Unter Deck höre ich Schraubengeräusche?“ 
„Das muss von da drüben kommen“, antwortet Flocke und zeigt mit der Hand auf die diesige See.
„Wo zeigst du denn hin?“, fragt Léon, der das Motorengeräusch aus einer anderen Richtung wahrnimmt. 
Dann sieht Flocke dort hin, wo Léon hinzeigt und Konturen werden im Nebel sichtbar. 
„Sieht wie ein Ladekran oder wie eine Schiffsbrücke aus“, glaubt Flocke, der sich das Marineglas geholt hat und angestrengt hindurch sieht. 
Jetzt sieht Léon die Schiffsbrücke. Aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen. 
„Das wird ein Schlepper sein, der an dem Containerschiff festmacht, um es in den Hafen zu schleppen.“
„Schaut euch mal den dicken Rauch an, den das Schiff ausstößt! Nur ein mordsgroßer Schornstein kann solche gigantischen Rauchmengen freisetzen“, sagt Stinger beeindruckt. 
Flocke nimmt das Fernglas, um besser zu sehen. 
„Das muss ein riesiger Dampfer sein.“
„Gewaltig.“ Léon traut seinen Augen nicht. 
Für einen Moment lichtet sich der Nebel und Léon beginnt lauthals zu lachen. 
„Seht, das ist kein Containerschiff, das sind die Verladekräne vom Hafen und es ist nur ein rostiger Frachter mit polnischer Flagge und dahinter ist nur Wasserdampf aus einem Kraftwerkskühlturm“, Léon ist erstaunt, wie der Nebel die Dinge verändern kann.
„Aufgepasst, der kommt mit dem Heck voran auf uns zu“, ruft Stinger.
„Und das mit voller Fahrt“, erkennt Flocke immer noch durch das Marineglas schauend.
Léon lässt die Segel trimmen. 
„Lasst uns verschwinden, mir ist das nicht geheuer.“ 
Rückwärts ist der Frachter zu langsam. Aber er beginnt sich auf der Stelle, wo sich die Bird of Prey noch vor kurzem befand, behäbig zu drehen.
Die Bird of Prey wird schneller und kann mit guten Winden fliehen. Nach einer Weile ist der Frachter außer Sicht, und nach fünf weiteren Stunden fahren sie in den Yachthafen von Kühlungsborn ein. Im nahe gelegenen Ort bunkern sie frische Lebensmittel, und erst am Abend kommen sie gemeinsam zum Essen zurück. Als sie den Aperitif draußen im Cockpit einnehmen wollen, stellen sie fest, dass der Nebel noch stärker geworden ist. Selbst das Schiff gegenüber ist nur noch schwach vor der Kaimauer zu erkennen. 
„Morgen werden wir früh ablegen, um es bei Tageslicht nach Fehmarn zu schaffen“, bestimmt Léon besorgt.
Alle gehen in ihre Kojen, um den verlorenen Schlaf der letzten Nächte nachzuholen. 
Morgens wacht Léon als erster auf. Mit der Zahnbürste im Gesicht steigt er den Niedergang hinauf. Dann steigt er wieder herunter. 
„In einer Waschküche herrschen klarere Sichtverhältnisse“, sagt Léon besorgt zu Mira, will aber die Hoffnung nicht aufgeben, abzulegen.
„Erst Frühstücken und dann sehen wir weiter“, erwidert Mira fröhlich, die offensichtlich gut geschlafen hatte. 

Bei der Törnbesprechung zeigt ihnen Léon auf der Seekarte den geplanten Kurs, der durch das U-Bootübungs-gebiet führt. Mit dem Kurszirkel fährt er auf der Karte die Strecke ab. Kurz darauf ist die Crew bereit abzulegen. Wie ein Geisterschiff schwebt die Bird of Prey zur Hafenausfahrt. Andere Yachten sind im Nebel nicht zu erkennen. Wenn die Mole der Hafenausfahrt nicht von einer gelben Straßenlaterne beleuchtet wäre, würden sie sich schon im Hafen verirren. Beim Passieren der Ausfahrt wird der Nebel noch dichter. Draußen auf See gibt es für sie keine Anhaltspunkte mehr. Keine Boote, keine Boxen und keine beleuchtete Mole, was den Nebel transparenter erscheinen lassen würde. Im Nu sind sie in einer lautlosen weißen Glocke gehüllt, die sich in allen Richtungen im gleich bleibenden Abstand zu ihnen mitbewegt. Gespenstisch ist das. Kaum hat sich die Bird of Prey vom Hafen entfernt, da gibt Léon den Kurs von 30° Ost vor. Obwohl nur wenig Wind zu spüren ist, nimmt der Seegang stetig zu. Die Yacht steigt die kurzen steilen Wellen hoch und runter. Auch in der Entfernung von nur hundert Metern zum Land, kann keiner von ihnen Häuser oder Bäume erkennen. Nur das Brechen der Wellen ist deutlich zu hören. Die geringe Tiefe von zweieinhalb Metern lässt sie wissen, dass der Strand nicht weit sein kann. Um die vorgelagerte Landzunge zu umfahren, müssen sie parallel zur Küste fahren. Erst nach einer Stunde verlassen sie diesen Kurs. Léon legt Ruder und ändert die Richtung auf 340° West. Jetzt kommen die Wellen von achtern und das Schiff wird hin- und hergeworfen. Ohne stützendes Segel ist nur wenig Stabilität im Schiff und der Baum ruckt mit knirschendem Geräusch an der Travelerschiene, was Stinger an die Nerven geht.
Flocke ist verwirrt, als er den Standort ermitteln will. „Merkwürdig, der GPS Plotter zeigt nichts mehr an.“
Er drückt den Powerschalter, aber der Bildschirm bleibt tot. Da entdeckt er ein angeschnittenes Kabel. 
„Mist, die Saukerle waren wieder da.“
„Sie müssen gestern, als wir einkaufen waren, auf dem Boot gewesen sein. Anders ist das nicht zu erklären“, sagt Léon und wundert sich, wie schnell sie immer gefunden werden. Er überlegt, was jetzt zu tun ist. Bei der geringen Sicht in den Hafen zurück zufahren ist sicher keine gute Entscheidung. Schon gar nicht, wenn die Kerle dort auf sie lauern. Es bleibt nur noch eins. Mit dem Kompass und der Logge sauber zu koppeln, wie damals auf der Godewind. 
Dann klingelt das Handy und Flosse ist dran.
„Léon wo seid ihr? In Rostock wurde von der Küstenwache ein merkwürdiges Funkgespräch abgehört“, redet Flosse hektisch in das Handy.
„Und, was hat das mit uns zu tun?“, fragt Léon.
„Zuerst dachte man, dass ein polnischer Frachter entführt wurde. Dann kam die Entwarnung. Ich habe keine Ahnung was da vor sich geht.“
„Wir schon. Die wollen verhindern, dass wir das Gold von Vineta finden. Mir ist jetzt auch klar, wie die uns gestern orten konnten. Auf dem Radar eines Frachters sind wir gut zu sehen. Leicht konnten sie beobachten in welchen Hafen wir gehen.“
„Ich verstehe kein Wort, aber ich versuche Hilfe zu organisieren.“
„Macht das“, sagt Léon, „wir haben hier ein Problem und jetzt keine Zeit zum Plaudern“, und legt auf.
Léon geht unter Deck zum Kartentisch und stellt das Funksprechgerät lauter. Ständig werden Positionen durchgegeben, aber das hilft ihnen wenig, denn Léon macht eine üble Entdeckung. Wasser schwappt unter den Bodenbrettern hervor. Er schöpft mit der Hand Wasser. Vorsichtig führt er es an seinen Mund und schmeckt daran, um festzustellen, ob es Seewasser ist oder, ob es sich nur um Süßwasser aus dem Wassertank handelt. 
„Salzwasser! Diese Schweine!“, ruft Léon zu den anderen. 
Nach kurzer Überlegung ist Léon davon überzeugt, dass der Wasserschlauch unter der Spüle wieder undicht ist. Mit der Hand taucht er in das schmutzige Wasser, fühlt blind nach dem Schlauch, kontrolliert die damalige Reparatur und stellt fest, dass der jetzt durchgeschnitten ist und das sich dieses mal das Seeventil nicht mehr schließen lässt. Nur weil die automatische Bilgepumpe eingeschaltet war sind sie noch nicht gesunken. Mit einem Holzpflock aus dem Havarieset verschließt er den Schlauch. Dann stellt er eine zweite Bilgepumpe an, um das Wasser nach draußen zu pumpen. Léon ist sich sicher, dass die Mörder das Ventil durch den Schlauch hindurch blockiert haben. Kaum ist dieser Schreck überwunden, lässt plötzlich die Motorleistung drastisch nach. Stinger steckt seinen Schädel in den Niedergang 
„Unsere Stümper haben dazugelernt und den Motor sabotiert“, stellt Stinger schockiert fest. 
Sofort kommt Léon wieder an Deck. Er gibt Gas, aber der Diesel will einfach nicht auf Touren kommen. Léon vermutet, dass der Motor Wasser gezogen hat. Er schaltet in den Leerlauf und gibt erneut Gas. Die Drehzahl geht hoch und das Hämmern des Diesels ist deutlich zu hören. Stinger und Flocke schauen Léon fragend an. 
„Der Motor ist in Ordnung!“, bemerkt Léon erleichtert.
Das Seeventil blockiert und das GPS Kabel wurde angeschnitten, und jetzt hängt irgendetwas in der Schraube“, ist sich Stinger sicher. 
„Diese Schweine! Die wollen uns fertig machen!“, flucht Flocke panisch.
Am Buganker entdeckt Mira eine Nylonschnur, so eine, wie Angler sie zum Fischen verwenden. Mit einem Hausfrauenknoten ist sie am Ankerbügel befestigt. Ein acht Meterstück kann sie aus dem Wasser ziehen und als sie Léon das Stück Schnur zeigt, ist ihm klar, dass der Rest in der Schiffsschraube hängt.
„Was machen wir jetzt?“, fragt sie ängstlich.
„Das was wir am besten können. Tauchen. Ich schaue nach, was los ist!“
„Du?“, fragt Stinger. Was ist, wenn dir etwas passiert? Wer soll dann das Boot steuern.“
„Was soll denn passieren? Ich tauche doch nur zur Schraube.“
Léon stellt den Motor ab und die Bird of Prey beginnt auf den Wellen zu treiben. Dann drückt Léon Mira die Signalraketen in die Hand und erklärt ihr die Handhabung.
„Nur für alle Fälle, aber wenn was aus der Nebelwand auf uns zukommt, dann feuere am besten alle ab!“, sagt Léon ernst.
Er sieht auf das Radar, und ein leuchtender Punkt wandert über den Schirm. Der Punkt bewegt sich mit einem Kurs von 10° von ihnen weg.
„Sobald die Fahrt aus dem Schiff ist, gehe ich runter“, sagt Léon mit ernster Mine und zieht die Flossen und seine Taucherbrille an. Ohne Taucheranzug quält er sich von der Badeplattform in das eiskalte Wasser. Er holt dreimal tief Luft, dann taucht er unter das Boot zum Schiffspropeller. Als er nach 20 Sekunden wieder hochkommt, bestätigt er seinen Verdacht. Die Schnur hat sich zu einem Klumpen um die Schraube gewickelt. 
Flocke reicht Léon ein Messer und dieser verschwindet wieder unter dem Schiff. Erst nach dreißig Sekunden bringt er einen Teil des Knäuels mit an die Wasseroberfläche. 
„Kein Wunder“, sagt Flocke, damit kann die Maschine nicht mehr laufen und hält einen Ballen Schnüre in der Hand. „Die Schweine haben eine Menge Tricks drauf.“
„Unter Wasser höre ich Geräusche, die von einem Schiffsmotor stammen“, warnt Léon. „Behaltet das Radar im Auge!“
„Machen wir“, sagt Mira.
Léon holt tief Luft und taucht erneut unter das Schiff. Mira schaut mit starrem Blick auf den grün leuchtenden Scannerstrahl des Radars. Zwei Punkte leuchten auf. Eine Fahrwassertonne und ein Schiff. Sie stellt das Funkgerät ein wenig lauter, da sie Stimmen hören kann. Unter dem Funkrauschen kann sie nicht glauben, was sie zu hören bekommt.
„… zuhalten habe ich gesagt oder es knallt!“ 
- Pause -
Dann wieder die Stimme.
„Idiot. Ich habe gesagt, draufhalten!“
„No, No…! 
„Bang, Bang“ 
Und wieder ertönt die ausländische Stimme: 
„Draufhalten, sonst bist du tot!“
Dann herrscht Stille, nur das Rauschen ist zu hören.
Mira ist entsetzt, sie braucht eine Zeit bis sie versteht, was da vor sich geht und sieht, dass der bewegliche Punkt auf dem Schirm eine Kurve macht.
„Kommt runter“, schreit Mira zum Cockpit hoch“, die wollen uns umbringen.
„Was soll ich bringen?“, fragt Stinger, indem er seinen Kopf in den Niedergang steckt.
„Ein Schiff kommt direkt auf uns zu. Jemand sagte draufhalten, und dann habe ich Schüsse aus dem Funkgerät gehört“, antwortet sie verstört und Stinger schaut sie ungläubig an.
Stinger weiß, was er zu tun hat.
„Schließ alle Luken!“
Plötzlich ertönt ein gewaltiges Nebelhorn schräg von achtern. Mira und Flocke starren, wie Kaninchen in die Nebelwand, während Stinger hastig seine Flossen holt.
„Da kommt was Riesiges auf uns zu“, murmelt Flocke.
„Wir müssen Léon hochholen!“, ruft Mira, während sie die Signalraketen aus ihrer Tasche fummelt, entsichert und mit einem lautem zischen abfeuert. 
Der Nebel beginnt in rotem flackerndem Licht zu brennen, dann geht alles blitzschnell. Stinger springt in das Wasser, taucht unter das Schiff. Mira entsichert eine weitere Rakete und feuert. Wieder wird der Nebel in rot getaucht. Plötzlich durchbricht ein schwarzer rostiger Bug die rot glühende Nebelwand.
„Mein Gott“, schreit Flocke angsterfüllt. Mira, halte dich an irgendetwas fest.“
Da wird die Bird of Prey auch schon seitlich von der Bugwelle erfasst und um mehrere Meter mit Schwung versetzt. Die rostige Stahlwand rauscht an ihnen vorbei. Die gegeneinander laufenden Wellen bringen die Yacht ins Taumeln, da knallt das Heck gegen die Stahlwand und die Bird of Prey wird herumgerissen. 
„Achtung! Gleich kommt der Schraubensog“, brüllt Flocke zu Mira.
Weiß schäumend rollt ein Wasserberg auf sie zu. Die Bird of Prey wird angesaugt, das Heck hebt sich aus dem Wasser, während der Bug immer tiefer im Wasserwirbel verschwindet. Bis zum Mastfuß versinkt die Bird of Prey in den Fluten, als plötzlich die Abwärtsbewegung stoppt. Das Heck bleibt für einen Moment stehen und klatscht dann mit einem schwappenden Geräusch zurück auf die Wasseroberfläche. 
Nach dem Chaos herrscht für einen Moment Stille.
Doch dann, den Schock in den Knochen, schreit Mira mit purer Panik in der Stimme: 
„Wo sind Léon und Stinger?“
„Ich weiß es nicht!“, schreit Flocke angsterfüllt. 
„Suchen! Wir müssen sie suchen!“, befiehlt Mira verzweifelt. 
„Wie soll ich das zum Teufel machen? Soll ich hinterher springen?“, brüllt Flocke sie an. 
Sie betrachtet ihn mit einem Ausdruck der Verzweiflung, der ihm seine in Wut gesprochenen Worte bereuen lässt. In Panik kreisen ihre Blicke über die kabbeligen Wellen der See. Sie laufen zum Bug und wieder zum Heck, aber nirgends können sie die beiden entdecken. Mira stellt sich neben den Mast und sucht nach den beiden in den grauen Wasserbergen. Sie schreit immer wieder die Namen auf die See hinaus, aber alles bleibt stumm. Traurig beginnt sie zu weinen. Dann hört Flocke ein Rumpeln am Heck und Mira entdeckt Léon, wie er sich schwerfällig auf die Badeplattform wuchtet. Auch Stinger taucht auf und versucht auf das Schiff zu kommen. Mira und Flocke stürzen herbei und ziehen die beiden mit aller Kraft aus dem Wasser. Mira sieht wieder auf den Radarbildschirm und kann es nicht fassen.
„Die wenden, wir sollten machen, dass wir hier wegkommen“, schreit Mira aufgeregt.
Flocke startet den Motor. Die Yacht nimmt Fahrt auf.
„Flüchten können wir nicht. Im Vorwärtsgang sind die schneller als wir“, gibt Flocke den anderen zu denken.
„Zur Fahrwassertonne!“, ruft Léon zu Flocke.
Mit Blick auf den Radarschirm steuert Flocke die Yacht. Mit schäumender Bugwelle surft sie dem Seezeichen entgegen. Im letzten Augenblick fährt das Boot einen Aufschießer und stoppt neben der Tonne. Stinger bringt eine Leine an. Der Nebel wird noch dichter, da öffnet Flocke die Backs-kiste, holt den Seemannsstuhl hervor und beginnt ihn zu klarieren. Er hat vor, sich am Mast hochziehen zu lassen, um den Radarreflektor zu demontieren.
Léon kapiert sofort, was Flocke vorhat.
„Schnell, die haben uns auf dem Schirm“, schreit Mira.
„Haben sie nicht, wir verschmelzen mit der Seetonne zu einem Punkt“, korrigiert sie Léon.
„Der Mast ist hoch, und es schwankt da oben zum Schlechtwerden.“ 
„Das ist gefährlich“, brüllt Mira.
„Sicher“, sagt Léon, „aber ein Frachter hat es auf uns abgesehen, da sollten wir uns unsichtbar machen!“
Flocke schekelt das Großfall aus und pickt sich mit dem Leinengeschirr ein. 
„Ich bin fertig!“
Hastig und mit aller Kraft beginnt Léon im hohen Gang an der Winsch zu kurbeln. Stinger hilft am Seil zu ziehen. Schnell fährt Flocke in die Höhe. Im Seemannstuhl sitzend klettert er wie ein Affe den Mast hoch. Er pendelt mit der Schiffsbewegung hin und her und muss sich eisern um den Mast klammern. 
„Oh, Scheiße“, schreit Flocke.
„Beeil dich! Schneide endlich die Haltebänder durch! Der Frachter hat gedreht, er kommt wieder!“, ruft Léon dem Akrobat zu.
Mira und Stinger legen ihren Kopf in den Nacken. Mira wird schlecht vom Zusehen. 
Flocke nimmt den Seitenschneider aus der Hosentasche und durchtrennt die Haltebänder. 
„Schnell. Lass mich runter, bevor ich auf das Deck kotze!“, keucht Flocke.
Mit dem Radarreflektor in der Hand wird er schnell abgeseilt.
„Und jetzt?“, fragt Flocke als er unten ist.
„Die werden sich fragen, wo wir abgeblieben sind!“, antwortet Léon, aber er hat eine Idee.
Die sehen nur das Signal der Fahrwassertonne, und das ist ihnen zu wenig.“
Mira sieht den leuchtenden Punkt näher kommen. Dann geht alles rasch.
Léon schnappt sich den Radarreflektor, springt in das kleine Dingi, das an der David hängt und bindet den Reflektor mit Klebeband an das Blatt des Paddels. Dann steckt er das Paddel wie eine Fahne durch die Motorhalterung hindurch, um die Lenkung zu arretieren. Hastig reißt er an der Starterleine des Motors. Mira lässt das Schlauchboot zu Wasser. Noch in der Luft beginnt der Außenborder ohne Wasserdämpfung laut zu knattern. Léon schekelt aus, legt den Gang ein und lässt das leere Minischlauchboot in die Nebelwand fahren. 
„Jetzt, sind wir unsichtbar.“
In der Deckung der Fahrwassertonne hat die Bird of Prey kein eigenes Signal mehr. Sie verschmelzen zu einem Punkt mit der Tonne. Der Frachter hat auf dem Radarschirm wieder zwei Signale. Das von der Fahrwassertonne und das vom Schlauchboot.
Wartend und mit angehaltenem Atem starren sie auf den Bildschirm. Sie sehen, wie der grüne Punkt auf sie zuhält und sich ein zweiter von Ihnen wegbewegt. Auch können sie die Geräusche der Schiffsschraube hören, die langsam lauter werden.
„Es klappt nicht. Die werden uns rammen“, ruft Mira aufgeregt.
Doch in der Nebelwand beginnt die schwache Silhouette des Bugs zu drehen. Der grüne Punkt auf dem Radarschirm beschreibt eine Backbordkurve und nimmt neuen Kurs auf das davon fahrende Dingi.
„Das war knapp“, stöhnt Stinger.
„Es wird nicht lange dauern bis sie die Täuschung merken, aber für einen Vorsprung könnte es reichen. Der Rumpf der Bird of Prey ist nicht aus Metall, sondern aus Glasfaser Verstärktem Kunststoff. Ohne Metallreflektor sind wir nicht mehr als eine Jolle auf ihrem Schirm“, sagt Léon. 
Kurz darauf wird das Segel hochgezogen, während der Frachter immer noch den leuchtenden Punkt des Dingis verfolgt. Stinger rollt die Genoa aus und sofort legt sich die Bird of Prey auf die Seite. 

Das Schiff nimmt mit Segel plus Motorkraft eine hohe Geschwindigkeit auf. Nach zwei Stunden mit volle Fahrt voraus, wird die Sicht endlich besser. Der Nebel löst sich auf. Léon repariert den GPS Plotter. Mit Tapeband umwickelt er das angeschnittene Kabel. Es klappt. Neun Satelliten werden gefunden und die Position wird angezeigt. 

Erst als ihnen klar wird, dass sie außer Gefahr sind, will Mira wissen, wie es Léon unter Wasser ergangen ist.
„Wie habt ihr das geschafft?“, fragt Mira erstaunt und sieht Léon glücklich an.
„Tauchball Instinkt.“ 
Mira legt ihren Kopf schief, da sie es genau wissen will.
„Als ich Stinger unter dem Schiff kommen sah, wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte kaum noch Luft und in dem Moment, als ich auftauchen wollte, zog mich Stinger auch schon in die Tiefe. Der Lärm des Frachters wurde immer lauter. Wir tauchten so schnell wir konnten zum Grund, um dem Schraubensog zu entkommen. Dann sahen wir, wie der Rumpf das Wasser verdunkelte. Ich spürte die Luftnot immer stärker. Mit meinem Verstand hielt ich dagegen, als die rotierende Schiffsschraube direkt über uns war. Nur weil mir Stinger die Zehn wie beim Zeittauchen anzeigte, geriet ich nicht in Panik. Ich konzentrierte mich auf seine Finger. Dann wurde ich ohnmächtig.“ 
„Wir haben Glück gehabt“, sagt Stinger erleichtert.

Bei schönstem Sonnenschein fahren sie durch die Fehmarnsund Brücke und können schon von weitem die zahlreichen Masten vom Yachthafen Heiligenhafen erkennen. 
„Was für ein Abenteuer!“, gruselt es Flocke immer noch. Mit panischem Ausdruck guckt er hin- und hergerissen zwischen Missbilligung und Vergnügen. 
Plötzlich heult die Bilgepumpe auf. Das Zeichen, dass sie trocken gelaufen ist und alle aufatmen können, während der Yachthafen Heiligenhafen immer näher kommt. Ein langer, natürlicher, hauchdünner Landstreifen ist der Küste vorgelagert. Auf der See zugewandten Seite ist Strand und auf der anderen Seite liegt ein Vogelschutzgebiet. Sie fahren an zwei Yachthäfen und einem Fischereihafen vorbei. Der Stadthafen mit einem Wald von über tausend Masten lässt die Größe schon von weitem erahnen. Im Hafen finden sie ein Labyrinth von Stegen und Schiffen vor. Die Einparkrinnen sind ineinander verschachtelt und erschweren zusätzlich die Orientierung. 
„Hier ein Schiff zu finden, ist so gut wie unmöglich. Es gibt einfach zu viele davon. Und wenn wir uns mit einem falschen Bootsnamen einbuchen, haben unsere Verfolger keine Chance, die Bird of Prey zu finden“, stellt Léon erleichtert fest, als er die letzte Leine an Land festzurrt.
„Last uns zusehen, dass wir nach Hause kommen!“, meint Stinger zu Léon und schaut dann Mira an.
Nickend sind beide einverstanden und auch Flocke hält das für eine gute Idee. Er schlägt ihnen vor, die Klebebuchstaben für den falschen Bootsnamen zu besorgen. 
Überaus glücklich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, macht sich Flocke auf den Weg. Mira nutzt die Zeit zum Duschen und um sich etwas anderes anzuziehen, während Stinger und Léon sich genüsslich ein Bier an die Lippen führen. 
„Es schmeckt wie nach einem gewonnenen Turnier“, sagt Stinger mit zufriedener Stimme, als Mira in einer weinroten Lederhose die Stufen des Niedergangs hochsteigt.
„Ich habe nachgedacht“, sagt Mira. „Ich kenne jemanden am Institut für Meereskunde in Kiel, der sich mit Ausgrabungen auskennt.“ 
Stinger verschluckt sich an seinem Bier und Léon fehlen vor Überraschung die Worte. Beide schauen an sich runter und wissen genau, dass sie in Segelbekleidung unmöglich neben ihr herlaufen können. Sie stürzen in ihre Kabinen. Léon steht gerade unter der Dusche, als Flocke fröhlich zurückkommt. Er sieht Mira in der hautengen Hose, verzieht das Gesicht und beginnt mit dem Überkleben des Bootsnamens. Mit einer frischen Jeans und Digitalkamera kommt Léon nach oben. Da ihre Verfolger die Scherbe als einen erfolgreichen Tauchgang deuten können, fotografiert er diese. Bevor sie nach Berlin zurückfahren, bindet er das Stück an eine Angelschnur, um sie in der Nähe des Steges zu versenken.
„Ring, Ring …“, klingelt das Handy.
„Man, wo habt ihr gesteckt. Die Küstenwache hat alles nach euch abgesucht. Die denken ihr seid gesunken und jetzt suchen sie immer noch“, brüllt Flosse panisch.
„Keine Panik, die bösen Jungs hatten uns mit ihrem rostigen Frachter auf den Kicker, die wollten uns rammen, da sind wir mit der Bird of Prey auf Stealth - Modus gegangen. Habt ihr sie?“
„Den Frachter haben wir, aber die Typen sind spurlos verschwunden.“
„Das ist doch unmöglich“, motzt Léon.
„Ich schicke euch eine Streife, die euch sicher nach Berlin bringt!“, grummelt Flosse, weil ihm die erfolgreiche Flucht der Verfolger peinlich ist. 
Da hört es Léon schon am anderen Ende knacken. Flosse hat den Hörer auflegt, er kann Vorwürfe jetzt nicht gebrauchen.

Kapitel 16: Miami